Der Implex
sozusagen Vorwärtsverteidigung würde leisten können. Das Argument ist dünn – man müßte, wie im Fall der ernsthaften Geltung des Menschenrechts- und des Westsolidaritätsgedankens, noch an manch anderem Ort einmarschieren, wenn es für wahr gehalten würde –, aber es erinnert sich immerhin noch daran, daß die Bundeswehr als Verteidigungsarmee gegründet wurde und Angriffskriege laut Verfassung verboten sind). Reemtsmas Text funktioniert nur, wenn man sich, während man ihn liest, nicht vorstellen kann, was seither aus der Bundeswehr gemacht wurde. Von dem Zustand, in dem deutsche Oppositionelle im Osten wie im Westen Leute waren, die sich mit lokalen Regierungen anlegten, von denen ohnehin niemand realistischerweise Entscheidungen über Krieg und Frieden erwarten konnte, und »links sein« oder »politischer Christ sein« immer nur hieß, Punkte im Himmel für ethisch einwandfreie (oder, bei Bibeltreuen wie Marxophilen, schriftstellengemäße) Äußerungen zu sammeln, handelt der Text, als ginge es darum, dessen Vergänglichkeit zu begreifen; gleichzeitig aber hat seine Vorstellung davon, was »die Linke« ist, nur einen Sinn, wenn dieser Zustand – die Linke, das sind Leute, deren Meinungen nicht von Leuten geäußert werden, die eine reale Mitverantwortung für wirkliches Töten tragen – als unaufhebbar gedacht ist.
2. Der Verfasser schreibt, als ginge es darum, nicht nur politische Haltungen der Linken, sondern auch intellektuelle Voraussetzungen derselben wie etwa die Lehre von Marx und Engels nicht Argument für Argument, nicht philologisch genau und analytisch konkret zu widerlegen, sondern gestisch, über Anspielungen und rhetorische Schönheiten zu beerdigen, durchaus nicht ohne Wehmut. Der Bezugsrahmen etwa: Wo soll er, scherzt Reemtsma, denn sonst bestanden haben, wenn nicht in den Köpfen? Man darf nicht viel Marx gelesen haben, wenn man an dieser Stelle vermeiden will, an die Sätze aus der Deutschen Ideologie zu denken, wonach geschichtliche Epochen mit spezifischen Illusionen gestraft gewesen seien und die Aufgabe der zutreffenden Geschichtsbetrachtung zunächst darin bestehe, diese Illusionen von religiösen und theoretischen Kämpfen, ausgetragen als Haupt- und Staatsaktionen, nicht zu teilen. Wenn denn Leute einen Rahmen im Kopf hatten, stellt sich dann nicht die Frage, ob diesem in der Wirklichkeit irgend etwas entsprochen hat, gemeinsame Interessen, konvergierende Kämpfe beispielsweise? Hat es dies nicht, so war der Rahmen eine Illusion, und sein Kaputtgehen zerstört nichts, auch keine Linke (die dann vielmehr immer schon eins dieser berühmten Gespenster gewesen wäre, die langweiligerweise in Europa und sonstwo umgehen, seit Marx und Engels das erste losgeschickt haben). Hat es dies aber doch, so kann eine veränderte Sicht auf irgendeinen Rahmen daran nur dann etwas ändern, wenn die Leute a) ihre gemeinsamen Kämpfe nicht mehr führen (das wäre eine Willensentscheidung, die Reemtsma sowenig hinnehmen müßte wie irgendwer: Statt bloß zu konstatieren, jetzt wird nicht mehr gekämpft, muß man ja wohl, wenn man diesem Kampf einen Erfolg wünscht, eher so etwas sagen wie: Hört nicht auf zu kämpfen, ich will und werde das auch nicht; der einzige Grund, es bleibenzulassen, wäre das sichere Wissen darüber, daß die Gegenseite stärker ist – davon aber spricht Reemtsma nicht; er sagt nicht: Miese Kräfteverhältnisse vernichten die Linke, er sagt: Sie zerfällt, weil man sie nicht mehr denken kann.) oder b) ihre gemeinsamen Interessen nicht mehr sehen (dann wäre der Rahmen richtig gewesen und die neue Denkweise, die ihn vergißt, eine Illusion, die es zu überwinden gilt), oder schließlich c) beides. Wenn jemand resigniert, hat sich vielleicht die Welt geändert, vielleicht auch nicht. Die Resignation ist kein Beweis für die Veränderung der Welt; die Veränderung der Welt könnte allenfalls ein Argument für die Resignation sein – aber, noch einmal, so argumentiert Reemtsma nicht: Er sagt nirgends, sie sind uns über, er sagt: Wir sind nicht vorhanden, gestern waren wir’s, irgendwie hat sich das geändert, aber besiegt worden sind andere als mein »wir«, nur stelle ich jetzt fest, wir waren doch aneinandergebunden, durch einen Rahmen, der allerdings in den Köpfen war … je genauer man das paraphrasiert, desto unhaltbarer wird es. Die Deutsche Ideologie : »Die ›Einbildung‹, die ›Vorstellung‹ dieser bestimmten Menschen über ihre wirkliche Praxis wird in
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