Der Implex
1917 markiert, abhanden gekommen ist. Eine Linke als ›der Erwähnung werte Opposition‹, eine, die den Triumph des Kapitalismus wenn schon nicht stoppen, so doch zügeln könnte, gibt es nicht mehr. Und darum fahren wir, wie die Toten nach Schluß der Vorstellung in den von Melina Mercouri nacherzählten griechischen Tragödien, alle ans Meer?
Was dazu abhanden kommen müßte, aber (noch) nicht überall abhanden gekommen ist, ist die Partei der Aufklärung. Ihr schlichtes Programm: zu fragen, wie die Kuhscheiße aufs Dach gekommen ist, ohne Rücksicht darauf, ob es noch einer wissen will und was er mit diesem Wissen macht; zu sagen, wer den Nahen Osten zum Nahen Osten gemacht, ihn so zugerichtet hat und warum (selbst ohne seine deutschen Giftgasfabriken wäre Saddam Hussein ein Produkt auch der deutschen Politik, die das am Golf geförderte Öl ›unser Öl‹ nennt. Morgen kann er tot sein oder wieder einer ›unserer‹ besten Kunden); nicht nach dem ›Guten‹ zu suchen, den es nicht gibt, nicht im Nahen Osten, nicht in Vietnam, Angola oder El Salvador, sondern die Ursachen zu nennen und die Interessen zu beschreiben, die Opfer und ihre Rächer, die der Haß verzerrt hat, und die Täter, die wenigstens um ihr gutes Gewissen gebracht seien.« 192
Als Antwort an den normativen Teil dessen, was Reemtsma zu sagen hatte, reicht das; der analytische aber wirft Probleme auf, die Gremliza damals aus wiederum guten Gründen nicht wichtig sein konnten. Was Reemtsmas Text nahelegt, hat die Antwort deutlich zurückgewiesen; wie Reemtsmas Aufsatz aber gedacht und gearbeitet ist, nimmt sich im zeitlichen Abstand in mehrerlei Hinsicht merkwürdig und erläuterungsbedürftig aus:
1. Der Verfasser schreibt, als wäre er Zuschauer, als bestünde die Linke nur aus Menschen, die schreiben und meinen, einschätzen und »dafür« oder »dagegen« sind, kurz, die Ohnmacht und Folgenlosigkeit von Gedanken, die er anläßlich der neuen Bedingungen einbekennt, scheint schon vor ihrem Eintreten bestanden zu haben – die Linke, und der Verfasser, scheinen von Natur aus zu keinem Kollektiv zu gehören, das Kriege nicht nur bewertet und einschätzt, sondern führt, etwa als Nation, zu der man ja kraft Paß, Wahlrecht, Steuerpflicht und so fort gehört. Worauf wir damit hinweisen wollen: Reemtsma schreibt, als würden nur irakische, amerikanische, vietnamesische Regierungen Armeen befehligen, nicht aber die Regierung desjenigen Landes, dessen Bürger er ist. Zahlt man Steuern, mit denen Kriegsgerät bezahlt wird, das in Afghanistan oder Jugoslawien zum Einsatz kommt, dann hat man sich am Krieg beteiligt. Kann man die Regierung abwählen – zu schweigen von ungebührlicheren Methoden der Behinderung von Regierungsgeschäften, und ganz zu schweigen von ungesetzlichen –, die diese Einsätze anordnet, dann ist die Meinung, die man von so einem Einsatz hat, keine Frage der Haltung zu irgendeiner Politik mehr, sondern der Beteiligung an ihr, oder der Weigerung, sich zu beteiligen. Steht man links – also in Opposition zur vorhandenen Regierung auch unabhängig von der Frage »Krieg und Frieden«, ist also (selbst als linke Verfassungspatriotin im Habermasschen Sinn) ohnehin nur begrenzt loyal zu ihr, so wird man jenseits aller Kompliziertheit der Geopolitik und Frage weltgeschichtlicher Bezugsrahmen die einfache Bauernregel nicht verschmähen dürfen: Wenn diese Regierung, die man gerne durch eine bessere ersetzt sähe, einen Angriff anordnet, mache ich nichts falsch, wenn ich diesem Angriff meine Zustimmung entziehe, am besten öffentlich, und unter Inkaufnahme so vieler Gefahren, wie ich eben tragen will und kann (Sitzblockade, Steuerboykott, Unterbringung desertierender Soldatinnen und Soldaten et cetera et cetera). Daß man, wenn man etwa einer Verfassung oder einem Staat treu ist, die Regierung aber ablehnt (der primitivste Fall dessen, was man bürgerliche Demokratie nennen darf), die beschriebene verantwortungsethische Position räumen wird, sobald dieser Staat angegriffen ist, steht auf einem anderen Blatt (war aber zumindest der deutschen Politik bewußt, als sie im Vorfeld des Afghanistanfeldzugs nicht nur von der deutschen Verantwortung für die Menschenrechte in Afghanistan, der deutschen Verpflichtung, beim westlichen Weltordnen nicht abseits zu stehen, und anderen höheren Werten redete, sondern auch davon, daß der islamistische Terror die Bundesrepublik bedrohe und man, wenn man in Afghanistan einmarschierte,
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