Der Implex
›Guten‹ zu erklären, und die Geschichtsphilosophie, mit deren Hilfe wir uns hätten überreden können, es doch zu tun, ist abhanden gekommen. Wer ist im Libanon ›der Gute‹? Wer in Peru? Wer in Serbien?« 191
Der bemerkenswerte Text lohnt das längere Zitat aus mehreren Gründen, von denen nur der auffälligste ist, daß er vom Versinken einer Konstellation handelt und dabei selbst einen Moment in der Biographie seines Autors wie zahlreicher Menschen, die ihm in signifikanter Hinsicht ähneln, zu fotografieren unternimmt, der sich als wesentlich vergänglicher herausstellen sollte als das Erbe der Systemkonfrontation – ganz ähnlich, wie die DDR heute noch die deutsche Politik und Meinungsindustrie beschäftigt, von den einst vielgefilmten und oftbefragten Überlebenden jener Bürgerbewegung, die ihren Fall ausgelöst haben soll, aber niemand mehr einen nennenswerten Einfluß auf diese Meinungsindustrie und diese Politik ausübt. Reemtsma schreibt, mit der Linken sei es aus Gründen zu Ende, die auch bewirken müßten, daß es mit Parteinahmen für und gegen Kriege im Westen (und dem von ihm immer gewollten Weltsystem, das damals geboren wurde, als der Westen den Osten besiegte) zu Ende sein würde – rund zwanzig Jahre, eine Antiglobalisierungsbewegung und eine Offensive des Westens und Nordens gegen den Süden und Osten später hat sich das jedenfalls nicht bewahrheitet; als Prophezeiung aber sollte man es auch gar nicht lesen. Es war eine Austrittserklärung, an der damals vieles, wenn nicht alles plausibel wirkte, auch in der Zeitschrift, deren Existenzgrundlage sie in Frage stellte, konkret , einem der wenigen am westdeutschen Kiosk erhältlichen Organe in jenem Jahr 1990, das dem Marxismus, der Kritischen Theorie, den Ideen der Protestgeneration und einer durch diese drei vermittelten Lesart der Aufklärung verpflichtet war, trat man dem Text keineswegs in dem Ton entgegen, den Linke sonst Renegaten um die Ohren hauen; auch der Herausgeber Hermann L. Gremliza erwiderte im nächsten Heft vergleichsweise moderat, wenn auch nicht ohne Ironie:
»Einverstanden – und, weil keiner von euch ›der Gute‹ ist: Schluß damit, Saddam! Aufhören, Bush! Es wird aber wieder mal keiner auf uns hören. Und also?
Es fällt auf, daß das Ende des realen, real existierenden, des nominal oder wie immer benannten Sozialismus niemanden härter getroffen zu haben scheint als seine linken Verächter. Zwanzig Jahre lang hat die Grüne Renate Damus die bürokratische Diktatur DDR bekämpft, um den Augenblick des Zusammenbruchs als ihre eigene Niederlage zu empfinden. Sie war wohl so enttäuscht wie Reemtsma, daß die ›historische Chance‹, die im ›Zerfall bürokratischer Macht‹ gelegen habe, nämlich daß ›die ökonomische wie politische Macht … aus den Kanzleien auf die Straße zurückgeholt‹ hätte werden können, nicht eine einzige Sekunde lang in Betracht gekommen ist. ›Möglicherweise‹, schreibt Reemtsma, ›ist derjenige, der ohnehin nie gemeint hat, es gebe (zu den nominalsozialistischen Staaten) eine sozialistische oder eben im weitesten Sinne, ›linke‹ Alternative, mal wieder besser dran.‹
Ich habe das gemeint. Ich habe gedacht und aufgeschrieben, daß das Ende des Realsozialismus keine Chance bieten werde, die ökonomische und politische Macht auf die Straße zurückzuholen, und deshalb seine Realität, die ich nicht ändern konnte und andere nicht ändern, sondern beseitigen wollten, verteidigt, so gut ich’s vermochte. Nun bin ich auch noch besser dran: ›Zuvor konnte er sich um die Erkenntnis der Realitäten herummogeln, nun kann er sich auf die Jahre 1989/90/91 in den Kategorien von Sieg und Niederlage beziehen und kann der Geschichte jenes Minimum an Heroismus-Phantasien abgewinnen, das, wenn man sonst nichts hat, doch immer tröstlich ist.‹
Zugegeben: Für die Realitäten des realen Sozialismus habe ich mich weniger interessiert, als man von einem seiner Verteidiger erwarten durfte. Mir genügte, daß seine teils kümmerliche, teils brutale und nur in zu raren Momenten das Versprechen von 1917 einlösende Existenz eben das ausschloß (oder, wie wir jetzt wissen: aufhielt), was seiner Niederlage folgen mußte: den welthistorischen Triumph des Kapitalismus und das, was Reemtsma das Ende des historischen Bezugsrahmens nennt, in dem sich seine Kritiker sahen. (…) Richtig ist, daß der weltgeschichtliche Bezugsrahmen, von dem Reemtsma spricht und den er mit der Jahreszahl
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