Der Implex
die einzig bestimmende und aktive Macht verwandelt, welche die Praxis dieser Menschen beherrscht und bestimmt.« 193
3. Der Verfasser trägt im ganzen einen Gedanken vor, in dem sich eine als bereits geschehen präsentierte Angelegenheit mit der Forderung, sie herbeizuführen, etwa so mischt wie in dem Satz: »Mutter ist doch ohnehin schon tot, laßt uns die Maschine abschalten.« Er fordert etwas und begründet es damit, daß das Geforderte bereits geschehen sei. Zum Beweis dafür nennt er Dinge, die auf der Welt passiert sind, und greift »Heroismus-Phantasien« derjenigen an, die wollten oder wollen, daß etwas anderes geschehe. Von denen wird gesagt, es gebe sie nicht mehr – halt, nein: Es gebe »Individuen, Gruppen, Argumente, Analysen« von der Art, die man früher zur Linken gerechnet hätte, aber eine Linke gebe es nicht mehr, denn der Rahmen, eine Sache, die es nur im Kopf gab, sei kaputt. Ins Bauliche und Lehrbetriebliche übersetzt: Es gibt Seminare, eine Bibliothek, eine Mensa, Hausarbeiten, Professorinnen, aber keine Uni mehr. Der Kategorienfehler ist Ergebnis der idealistischen Grundannahme: Man kann sagen, die Idee »die Linke« ist eine Abstraktion, in der die Individuen, Gruppen et cetera zusammengefaßt werden, dann verändert sich der Gebrauch (also die Bedeutung) des Begriffs vielleicht, wenn sich diese Individuen, Gruppen et cetera verändern, aber der Begriff ist nicht referenzlos (das Ding, das er meint, ist nicht weg), solange es diese Individuen, Gruppen et cetera noch gibt. Dies ist die nominalistische Auffassung vom Primat der Praxis und des Begriffsgebrauchs, Marx und Engels nennen sie »materialistisch«. Das Gegenteil wäre die Vorstellung: Zuerst gibt es den Begriff, der ist (»natürlich«, sagt Reemtsma gereizt) in den Köpfen, und dann müssen ihm die Individuen, Gruppen et cetera entsprechen. Tun sie’s nicht mehr, sind sie nicht mehr links; hören die Köpfe überhaupt auf, den Begriff zu denken, gibt es auch keine Linke mehr. Diese Ansicht vertritt Reemtsma, und wenn man die alten Sprachspiele mag, weil sie hin und wieder doch noch Erhellendes zutage fördern, wird man das idealistisch nennen müssen.
Gibt man diesen drei Merkwürdigkeiten etwas Raum, sich nach ihren immanenten Konsequenzen zu strecken, so greifen sie schließlich ineinander zum Gesamteindruck eines Textes, in dem das Formale und das Inhaltliche in außerhalb ästhetischer Erfahrungen seltenem Ausmaß harmonieren; der Abschied, den er für unvermeidlich erklärt und zugleich fordert, vollzieht Reemtsma selbst denkmethodisch: Der Aufsatz ist ein Versuch, so präzise wie möglich ein politisches Denken zu demonstrieren, das alle Denkvoraussetzungen, die man seit der Zeit der Französischen Revolution »links« genannt hat, preisgibt, losläßt, vergessen und vergessen machen muß – und damit ein Dokument der geschichtlichen Gewalteinwirkung, das bündelt und blanklegt, was schon mit früheren Abgesängen zwischen dem »dritten Weg« und dem von Lyotard – im Zusammenhang mit etwas, das er »Postmoderne« nannte – konstatierten »Ende der großen Erzählungen, auch der emanzipatorischen« gemeint war, sich damals aber nur tautologisch mit einer Vision der Vernichtung der anderen, der linken Traditionslinie begründen ließ, für die Reemtsma ein realgeschichtliches Datum setzen kann: Die idealistische Argumentation, das ist ihre Pointe, nimmt vom Materialismus gerade soviel – nämlich den innerweltlichen, nichtideellen Anlaß, warum sie überhaupt vorgebracht wird –, um diejenigen, die ihn noch schätzen, zum Hinhören aufzureizen. Der Text, wollen wir sagen, ist meisterhaft: Was alle anderen, die in der fraglichen Zeit und danach (bis zum heutigen Tag) ihren Abschied von der Linken vollzogen haben, lieber nicht berühren – die Tatsache nämlich, daß es nicht irgendwelche inneren Mängel der Linken waren, die sie von ihr getrennt hat, sondern ein tatsächliches Kräfteverhältnis, vor dem mit nicht unehrenhaften Gründen, ja aus echter Einsicht kapituliert werden könnte. Diagnostisch also sind wir nicht so uneins mit Reemtsma, wie es scheint: Er sagt, etwas sei umgefallen, und das stimmt. Nur stand dies Umgefallene, das zeigt der Teil seines Textes, den man die Anamnese taufen darf, bei ihm schon zu Zeiten, als es noch stand, auf dem Kopf, und es aufzurichten, indem man es so wieder aufstellt, wäre in der Tat aussichtslos.
III.
Was ist, woher kommt und wohin will »linker Bellizismus«?
Im
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