Der Implex
Grunde‹ Religion: ein ›unnatürliches Trachten nach Gewißheit‹. Ich kann leben, ohne hierauf zu entgegnen. Es ist möglich, daß von den Denkschwierigkeiten der Philosophie nicht eine einzige besser als annäherungsweise gelöst ist, und es ist wahrscheinlich, daß die Behauptung, man habe die Lösung, oft schadet. Aber der größte Schaden auf dem Weg zur Menschwerdung ist Wissensverzicht. Irgendwer sollte einmal einen Blick auf die Ergebnisse der Einzelwissenschaften werfen, etwa die vom Kosmos, vom Bewußtsein und von der Gesellschaft. Sind die weniger religiös? Oder weniger idiotisch? Ich versichere Ihnen: nur eine schier bedingungslose Hingabe an die Philosophie kann uns vor dem Schwachsinn der Einzelwissenschaften retten.« 221
Was Hacks an einem Denken, das dem Positivismus nicht ferner stehen könnte, eigentlich stört, ist dasselbe, was Adorno und Horkheimer am Positivismus stört: Wenn die Einzelwissenschaften die Begriffe festlegen können sollen, aber die Philosophie dann nicht mehr an ihnen schrauben können soll, besteht das Risiko, daß der Öffentlichkeit davon nur die Lehre eingeht, es gebe eben nicht mehr und nichts anderes, es könne und solle eben nicht mehr und nichts anderes geben, als was es nun einmal gibt – wer dagegen wissen will, was es geben sollte, ist ein verkappter Tyrann, ein Großmaul in der Tradition Platons, der Philosophen als Könige dachte, ein Feind der offenen Gesellschaft, wie Popper herausgefunden haben will (Rortyaner sind verfeinerte Popperianer: Alles – Wahrheit, Wissenschaft, ontische Verbindlichkeiten –, womit der Schöpfer des Kritischen Rationalismus noch Mühe hatte, weil Widersprüche lauern, wo er es bewahren will, wirft der Kritiker des »Spiegels der Natur« endgültig über Bord und fühlt sich wohler). Reden solche Leute soziologisch, so in einem Zungenschlag, den Jürgen Kaube »postsozial« genannt hat, das heißt, sie führen kaum noch etwas in ihrer Gesellschaftsbeschreibung auf normative Fragen des sozialen Zusammenhalts und des guten Lebens zurück (die Platon immerhin noch beantwortet haben wollte), sondern sehen das Ding als Ding seiner selbst – die Selbstreferentialität wird der Gesellschaft zugestanden, Kritik und Philosophie aber können wohl ihrer je eigenen Leitdifferenz folgen, sollen aber keine Autonomie-Illusionen pflegen, da sie zur Gesellschaft gehören, wie diese nun einmal ist. Wer da mit Krisen und Revolutionen kommt, wird belehrt, die moderne Gesellschaft ( tout court ,Binnenunterschiede sind plötzlich egal) habe bisher noch jede Krise und Kritik überlebt, jene seien nicht Zeichen ihrer immanenten Grenze und Brüche oder dafür, daß irgend jemand oder irgend etwas sie aufheben (wollen) könnte, sondern gehörten zu ihr als ihr Modernes selbst (das Argument folgt dem bewährten Vorbild: Die Oma mußte mehrfach ins Krankenhaus, sie kam aber immer wieder zurück, das Krankenhaus gehört also zu Omas Leben, sie ist nun mal unsterblich mit kleinen Fehlern).
Noch das falscheste Bewußtsein (das mitunter eine beeindruckende operative Geschlossenheit erreicht) ist eine Lebensäußerung, Attribut von etwas also, das »man« nicht alleine tun kann; Denken und Leben sind für Menschen gesellschaftliche Sachen, und Leben heißt, Defizite supplementieren, so gut man kann – blendet man Außeninput dann aus der Reflexion, um davon nicht so irritiert zu werden, daß man diejenigen Fehlerquellen des eigenen Denkens, die nicht in dessen Autonomie, sondern im Gesellschaftlichen sucht (weil das die Aufgabe tatsächlich uneinholbar aussehen läßt – man möchte keinen Virenscanner auf dem Rechner installieren, der sofort anfängt, nicht nur die Festplatte, sondern auch das Internet nach Viren zu durchsuchen). Das falscheste Bewußtsein aber geht in seiner Falschheit und seinen Bewußtseinsqualitäten nicht völlig auf, ist noch verschieden vom falschen Leben, dem es entspricht, weil es ihm nie vollständig entspricht, nämlich Freiheitsgrade enthält, die leichter auszunutzen sind als die der Praxis – es geht ja, wir erinnern an Freud, um vergleichsweise winzige Energiemengen dabei.
Ein Wort, einen Satz, eine Parole als conceptual engineer mit den von Freud katalogisierten Traumtechniken zu behandeln (Verdichtung, Verschiebung, Verneinung et cetera), und zwar bewußt oder mit denen der Poesie (Metapher, Ironie et cetera), ist einfacher, als eine Revolution anzuzetteln, erlaubt aber eben deshalb, sie durchzuspielen, indem man das
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