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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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und ihre Philosophien für Philosophinnen und deren Philosophien nicht nur ein genauso naheliegender Gegenstand sind wie Physikerinnen und ihre Physik, Künstlerinnen und ihre Kunst, Politikerinnen und ihre Politik, sondern sogar einer, den die Philosophinnen aufgrund ihrer Ausbildung besser kennen und leichter in ihre Philosophien einbauen können als nirgendwelche anderen. So kommt der Eindruck zustande, Philosophie sei im Normalfall (wir gebrauchen das Wort so, wie Kuhn von »normaler Wissenschaft« redet) so etwas wie die Anwendung »philosophischer Methoden« auf Tatsachen aus Form und Inhalt der Textgeschichte der Philosophie; sie sei sozusagen wesenhaft »hermeneutischer« als andere Denkdisziplinen. Rorty sagt, sie solle am besten gar nichts anderes sein als eine Art Literaturwissenschaft für ein besonderes literarisches Genre, es gebe nämlich gar keine anderen spezifisch philosophischen Fragestellungen – in Contingency, Irony and Solidarity vergleicht er sie noch in einem Tonfall mit der Belletristik, der sich figurativ, sozusagen malerisch ausnimmt, läßt aber dabei bereits den Umstand weg, daß es schöne Literatur als etwas, das wesentlich von Objektsprachen (oder, im Fall der Begriffsdichtung der Klassik und einem erklecklichen Teil der Literatur des Modernismus, als Objektsprachen behandelten Metasprachen) lebt, auch in Situationen geben kann, die kaum öffentliche und stark eingeschränkte private Freiheiten gibt, während das bloße Vorhandensein von Philosophie als etwas von Wissenschaften, Theologie und Kunst Geschiedenes bereits Indikator einer gediegen liberalen (nicht unbedingt: bürgerlichen) Organisationsweise des öffentlichen Lebens ist.
     
    Schöne Literatur hantiert mit Denken und Empfinden, soweit es privat, also nach Petrarcas Entdeckung des secretum meum (zum Beispiel als lyrisches Ich), oder naturwüchsig öffentliches (zum Beispiel als mythische Stimme des Epos), von Wörtern aufgeschlossen werden kann; Philosophie arbeitet mit Begriffen als Wörtern zweiter Ordnung. Wie bei allen Implexrelationen empfiehlt sich auch hier Vorsicht bei den mengentheoretischen Intuitionen: Man kann alle Wörter als Begriffe behandeln (weil sie ja immer schon in einer sozialen Welt gesprochen und geschrieben werden, die außer allem anderen, was man wahrnehmen kann, auch Wörter wahrnimmt), aber umgekehrt auch alle Begriffe als Wahrnehmungswörter (weil sie ja irgendwo gehört oder gelesen werden), der Unterschied ist nicht einer der Suprematie, Vorgängigkeit, des Primats, sondern einer der Richtung, in die jeweils gesprochen wird, und wenn Rorty, innerphilosophisch die Differenz zwischen schöner Literatur und Philosophie reproduzierend, wie das mit Unterscheidungen unter Implexbedingungen immer geht, gelassen feststellt, Nietzsche diene mehr der Selbstveränderung, Marx mehr der Veränderung der Gesellschaft, dann spricht er dabei keine ewige Wahrheit aus, sondern eine implizite über seine eigene Gesellschaft und die Position, die er in ihr einnimmt. Nach der Singularität, von der Vernor Vinge spricht, also der technischen Verwirklichung des Übermenschen, ist Nietzsche ein politischer Schriftsteller und Marx altertümliche Poesie; nach Errichtung des Sozialismus ist Marx das Alleröffentlichste und Nietzsche eine Schrulle für Schlechtweggekommene; in wieder anderen sozialen Situationen, die etwa als Mischzustände aus Vinges und Lenins Zukunftserwartungen sich darstellen würden (und die man in der Science-fiction der letzten zwanzig Jahre gar nicht selten findet – zum Beispiel bei Nancy Kress, Ken MacLeod, China Miéville …), sieht die spezifische Gewichtsverteilung dieser beiden Autoren wieder anders aus (Rorty selbst allerdings würde in allen drei denkbaren Sozietäten eher selten gelesen, anders als jetzt). Beide sind bloß zum allerkleinsten (aber deswegen längst nicht uninteressantesten) Teil Wissenschaftler, nämlich soweit Marxens politökonomische Begriffskritik auf zu korrigierende kursierende Beschreibungen realer politökonomischer Prozesse zielen muß und sie mit eigenen Erhebungen abgleicht und soweit Nietzsche tatsächliche philologische Arbeit leisten muß, um außer der Umwertung aller Werte etwa auch ein gegenüber dem Klassizismus realitätsgerechteres Griechenbild ins Werk zu setzen.
VI.
Rorty als Reemtsma als Wieland als Aristipp: Eine Mehrfachverwechslung
    Wer wie Rorty die Autonomie der Philosophie zwar toleriert, ihre Geltung aber vermindern möchte, tut dies

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