Der Implex
Realisten loben, sie nirgends zu Festlegungen darüber, was geschieht oder geschehen wird. Er muß Denker sein, er darf kein Revolutionär sein, denn als Revolutionär ist er gescheitert. Was es im einzelnen gewesen ist, was ihm aufging, als er das Normative (das sich hier einfach als anspruchsvoller Name für ein schwer wegzudiskutierendes PROGRAMM enthüllt) angeblich überwand, kann man dann in großer Ruhe ausknobeln: Es muß nicht mehr, wie beim die halbe Wegstrecke zwischen Lukács und Henning markierenden Althusser, die Ansicht gewesen sein, daß nichts gedacht und geredet werde, was nicht irgendwie irgendwo »ideologisch« ist; eine Marxdeutung, gegen die Michael Löwy seinerzeit aufbegehrte, als er wissen wollte, im Namen welcher Werte Marx denn nun den Kapitalismus kritisiert habe und weshalb Althusser die so wenig kümmerten. Nicht bedacht haben Lukács, Althusser, Henning eine einfache Konsequenz ihrer Versuche, die peinlich gewordene Programmatik aus der Theorie herauszueskamotieren: Sobald das Sollen weg ist, rutscht das Wollen an dem, was übrigbleibt, ebenfalls ab, und da bevorzugen wir dann selbst Lacan, der immerhin vom Wollen redet, sowenig uns die Überführung von Freuds dynamischer Libidolehre in die topischen und topologischen mock mathematics des Franzosen einleuchtet – als man Lacan vorhielt, es bringe nichts, sich mit »den Strukturen« zu befassen, denn die Strukturen gingen nicht auf die Straße, erwiderte er mit Blick auf die soeben sich ereignenden Studentenunruhen, doch, das täten sie, man sehe es doch – keine dumme Antwort.
Wir stimmen mit vielem überein, was Lukács, Althusser, Henning und verwandte Geister an Marx loben; die Vorzüge, die sie an ihm aufweisen, hat er wirklich alle besessen; aber wenn man an einem Lastwagen vor allem rühmt, es passe mehr hinein als in einen Handkarren, dann hat man zu wenig gerühmt, dann ist das damning with faint praise. Marx war wirklich ein besserer Soziologe als Parsons, ein besserer Geschichtsdenker als Spengler, ein besserer Philosoph als die Neukantianer, aber das Problem ist, daß ein Marx, den man malt, indem man alle diese Attribute zusammenträgt und in ihrer Totalität dann die seine vermutet, eigentlich auch Carl Schmitt oder Foucault heißen könnte, die es ebenfalls nicht mit den engen Selbstberuhigungen des in ihrem akademischen Fach Gängigen hielten.
So einer kann dann – Marx hat es getan, Nietzsche nicht – eine »Supertheorie« bauen, wie Luhmann treffend Systeme nennt, die sich auch selbst als Gegenstand enthalten; bei Marx war sie universalistisch, bei Foucault nicht, bei Schmitt auch nicht – die letzteren beiden haben ihre Reflexion durchaus auch bis zur (nicht unbedingt bei diesem Namen genannten, in der Allzuständigkeit dieser Denker aber stillschweigend mitgemeinten) Totalität getrieben, in dieser aber die Vermittlung übers Partikulare ohne ein denkbares Außen (das bei Marx sein Programm ist; bei Henning kommt jedes derartige Außen als »Normativität«, wie wir gesehen haben, fortwährend schlecht weg) vollzieht und so an einem Punkt landet, den bei Schmitt der Souverän und bei Foucault spätestens seit dessen maoistischer Phase »die Macht« markiert. »Souverän« ist bei Schmitt der jeweilige Stifter und Heger der konkreten Ordnung, die vor dem »blutleeren, positivistischen«, von Schmitt mit allen Mitteln bekämpften Normenrespekt der Kelsenschule voraushaben soll, daß er mit dem tieferen, dem nicht ausgedachten Nomos verbunden sein soll, im Gegensatz zu allen diesen Wurzellosen, für die vorweg die Juden stehen. Die Foucaultsche Machtlehre dagegen besagt, es gebe nur Macht und Gegenmacht, weder Wahrheit noch »das Richtige«, die jeweiligen Siege im Kampf zwischen Schmittianischen Feinden bestimmten die episteme , sie ist jeweils total und jeder vorherigen oder nachfolgenden inkommensurabel. Dies hat seine Triftigkeit aus der Genealogie, einem von Foucaults Lieblingswörtern, gelernt bei Nietzsche: Das Gute, Moral, Normen sind herleitbar, man denke sie also als gemachte, selbst jenseits von Gut und Böse – aber diese »Ideologiekritik« ( sit venia verbo ) ist nun gerade nicht die von Marx und Engels, denn jene fanden, Gerechtigkeit, als sozialer Zustand, auf den Urteile über Gutes und Richtiges sich beziehen ließen, sei herstellbar, daß aber die Propaganda der Urteile über Gutes und Richtiges in der bestehenden Klassengesellschaft benutzt werde von Leuten, die etwas anderes wollen als
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