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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Rest in ihrer neukantianischen Soße ersäuft haben, so hat auch Henning recht, wenn er sagt, daß Irrationalismus und Voluntarismus auf der einen, Affirmation und Resignation auf der anderen Seite die beiden Fallen sind, zwischen denen jede ernsthafte Intervention in politischen Streit um das richtige Leben navigieren muß. Nicht recht aber hat er, wenn er die Unfähigkeit vieler, die den Kurs zwischen diesen beiden nicht finden, aus einem Ideendefekt erklärt, den er so bestimmt:
    »›Normative Sozialphilosophie‹ bewegt sich zwischen diesen gleicherweise mißlichen Polen wie auf der glatten Fläche einer Vitrine, die ÜBER ihrem eigentlichen Gegenstand liegt. Ein Tertium kann die Gesellschaftstheorie nur erreichen, wenn sie aus der ethisierten Übergangsform heraustritt, wie dies wegweisend für die ganze Soziologie eben Marx getan hat. Sein denkerischer (ein auffälliges Verlegenheitsadjektiv: das Ding darf nicht »philosophisch« und nicht »wissenschaftlich« heißen, so redet er defensiv, wie Heidegger offensiv, von »Denken«, wie der Staatsmarxismus der DDR nicht mehr von Proletariern und noch nicht von freien Produzenten sprach, sondern von Werktätigen, K/D) Fortschritt bestand darin, die ethischen Ideen nicht mehr nur als ›normative Folie‹ und unhinterfragte ›begriffliche Grundlage‹ zu benutzen wie die liberale Sozialphilosophie (die nicht identisch ist mit dem Liberalismus als politischer Bewegung), sondern diese selbst noch zu thematisieren. Er betrachtete die Ideen eher als Bestandteil der materialen Geschichte und darum auch als Gegenstand der Theorie« 247 ,
    was etwas sagt, das Henning gar nicht meinen kann, weil er Marx zu gut kennt, um so etwas zu behaupten, nämlich daß ihm die Beschäftigung mit falschen Ideen nur ein Mittel war, um zu richtigen zu gelangen statt zu einem besseren Leben. Die Schwierigkeit besteht eben in derselben Unklarheit, der schon Viktor Adler zum Opfer fiel, als er aus Marx herausinterpretierte, jener habe eigentlich doch gemeint, Ideen seien Triebkräfte der Geschichte, es müßten aber verkehrte gegen richtige eingewechselt werden wie schlechte und müde Fußballspieler gegen gute und ausgeruhte. Des Rätsels Lösung: Marx fand nicht, daß falsche Philosophien die Menschen lenkten, sondern unverstandene Motive und Realverhältnisse, er fand aber sehr wohl, daß richtige Gedanken sie lenken sollten: Seine Geschichtstheorie (nicht Ideen leiten die Menschen bisher, sondern Ökonomisches, das sich unter anderem als Ideen verkleidet) ist etwas anderes als seine Fortschrittstheorie (Ideen SOLLEN die Menschen leiten, und zwar richtige, darunter die, daß sie bisher nicht von Ideen, sondern von Ökonomischem geleitet worden sind, das sich unter anderem als Ideen verkleidet hat). Da Marx diese beiden aber immer wieder auseinander hervorgehen läßt und ihre Grenze, verzaubert von der Dialektik und genötigt von der Veränderlichkeit historischer Geschicke, nicht bestimmt, sowenig wie jemals die zwischen logischer und genealogischer Kapitalanalyse, Natur und Gesellschaft et cetera, aber mit allen diesen Unterscheidungen immer wieder arbeitet, als hätte er sie bestimmt, stößt er Auslegungen seiner Arbeit nach der Seite des irgendwie transpraktisch Richtigen wie bei Lukács oder Henning alle Türen auf.
     
    Beide (und viele stattgehabte oder denkbare andere, ebenso gestimmte) betonen zunächst die realgeschichtliche Erdung von Marx, er habe die Geschichte, ja das Geschichtsganze in seiner Totalität gesehen, aber beide tun das unter Vorzeichen, die sich mit einer Bewertung der zwar realgeschichtlich formulierten, aber zutiefst normativen Ansprüche, die für Marx Dreh- und Angelpunkt der Theorie waren (die Revolution muß gemacht, Sozialismus und Kommunismus müssen errichtet werden), extrem zurückhalten, so als sei diese Bewertung nicht möglich, nicht nötig. Beide bieten ihm Asyl im Denken an – im richtigen Denken allerdings, nicht nur beim Arabeskenbau –, weil er gerade draußen im Regen steht; bei Lukács soeben war eine erhoffte Revolution im Westen ausgeblieben, bei Henning ist die Ausgangslage das jüngsterfolgte Abgeräumtwordensein der Folgen einer im Osten vor siebzig Jahren vollbrachten. So schreiben sie nicht viel über Kriege, Planwirtschaft, Gewerkschaften, Krisen, aber viel über die Antinomien bürgerlichen Denkens, Definitionsprobleme, Kommunikation und dergleichen. Als wollten sie sich selbst widerlegen, reizt Marx, den sie als großen

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