Der Implex
der tatsächlich so oft vorkommt, wie Henning sagt, und dem die davon Betroffenen zu allem Unglück meist auch noch die Gestalt einer wenig anziehenden Hegelschen Synthese in Kollapsformat geben, etwa nach dem Muster: Wenn denn nun doch irgend etwas ist, und sich das, was da ist, allem Anschein nach nicht recht darum kümmern mag, was ich mir dazu so denke, dann liegt der Irrtum nicht bei den Tatsachen, sondern bei mir, weil ich offenbar nicht begriffen habe, daß das, was ist, offenbar schon das ist, was sein soll, und alles andere, was etwa noch werden könnte, wenn man sich praktisch, so wie ich gedanklich, an dem ausrichtet, was sein soll, am Ende nur viel schlimmer wäre als das, was ist, weil es sein soll (das klingt, in seiner scheußlichen Vermählung von Pessimismus und Resignation, als müsse man schon reichlich verzweifelt sein, um so zu denken, beschreibt aber ziemlich genau den geistigen Weg etwa des späten Max Horkheimer, der zur Bejahung der amerikanischen Außen- und Militärpolitik und zur Ablehnung der Neuen Linken etwa auf die Weise gelangte, auf die sich im Kleistschen Marionettentheateraufsatz die zweite Unschuld herstellt).
Henning beläßt es allerdings nicht dabei, die konservativen, die hilflosen Ontologen und Hypostatiker des bloß Vorgefundenen zu schelten – auch die »utopisch-anarchistische Kehrseite« des Normativismus wird gezüchtigt, denn der Geist, der nicht umkippt, sondern bis zum Verstummen verneint, was ist, muß sich das Verdikt, falsches Bewußtsein zu sein, genausogut gefallen lassen wie der, der es am Ende doch bejaht – darin steckt eine zutreffende Erinnerung an einen zentralen Punkt der Marxschen Ideologiekritik: Geist, der sich stur nur als Geist weiß und nichts von den Realverhältnissen, in denen er historisch wurde, was er ist, wissen will, ist immer falsches Bewußtsein. Diesen Sündenfall geißelt Henning in jeglicher Aufmachung – »Seine geistigen, alle Institutionen überfliegenden und daher latent autoritären und destruktiven Tendenzen waren zu erahnen im Trotzkismus, bei Eucken, Lukács, Heidegger und Adorno, sowie in einigen Zweigen der Wirtschaftsethik« 245 –, ungnädig stellt der Forscher also selbst Lukács in die normativistische Ecke, der doch sein kraftvollster Vorgänger war beim Unternehmen, einen Marx zu porträtieren, dessen Sicht auf die reale Totale derjenigen der Kantianer aufs moralische Gesetz in ihnen unendlich überlegen ist. Noch der diesseitigste Demokrat, noch die pragmatischste Identitätspolitik, von den Habermasianern samt ihrem Lehrer bis zu amerikanischen campus politics , wird direkt oder indirekt gewogen und zu leicht befunden, die Preisgabe der Marxschen Theorie oder ihre Unkenntnis haben sie sich alle zuschulden kommen lassen, und dies setze stets zumindest »die Möglichkeit des Irrationalismus frei« 246 , wenn nicht seine grausige Wirklichkeit, und das Erstaunlichste daran ist, daß Henning nicht wie Horkheimer und Adorno unter Irrationalismus spezifische historische Erscheinungsformen erst der Gegenaufklärung und dann der selbstverblendeten Aufklärung, sondern etwas durchaus Überzeitliches versteht, ganz begriffsrealistisch den Gegenbegriff zur Ratio nämlich, der nur Marx gerecht geworden sei. Daran stimmt nun wieder gerade das, was nicht gemeint ist, nämlich das Praktische und Historische, als dessen Schatten diese Zwistigkeiten zwischen Vernunft und Unvernunft Theorie sein sollen: Wer von der Vernunft gehört hat, sich aber gegen sie entscheidet, ist in der Tat unvernünftiger als irgendwelche Unwissenden; wie nach dem großen Wort von Wolfgang Pohrt Millionen BILD-Leser schlimmer sind als Millionen Analphabeten. Nur liegt das nicht am Alphabet oder an den großen schwarzen Buchstaben, und die Physik hat nicht Hiroshima bombardiert, und die Biowissenschaften nicht den Menschen zum Objekt für den Menschen gemacht, und der Irrationalismus großer Teile des linken Diskurses wie der universitären Sozialwissenschaften liegt nicht an der normativen Sozialphilosophie, der etwa linke oder Sozialwissenschaft treibende Verblendete erlegen wären. Wie Leszek Kolakowski recht hatte, Viktor Adler, dem Austromarxismus und allen möglichen neukantianischen »Erneuerern« des Marxismus aus philosophischen Motiven heraus und unter Einschluß aufklärerisch rückbezogener, vor allem auf Kant sich stützender ethischer Reflexion vorzuwerfen, daß sie von dem, was an Marx interessant ist, nichts mehr übriggelassen und den
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