Der Implex
Durcheinander der Beschäftigungs-, Rekrutierungs- und Beschäftigungsdurchsetzungsformen, mit denen der Ärger angefangen hat, denkt man an die Unterschiede zwischen den zivilen Arbeitsverhältnissen in den reichen und die barbarischen in den armen Gegenden, und denkt man schließlich daran, wie unübersichtlich das Feld der Nichtfreien von der Bettlerin über den digitalen Bohemien bis zum Arzt in den vormaligen Zentren der bürgerlichen Emanzipation heute ist, so empfiehlt es sich, mit Banaji wahrzunehmen, daß in allen historischen Abschnitten Übersicht geschaffen wird, wenn man sich dazu erzieht,
»to think of capitalism working through a multiplicity of forms of exploitation based on wage-labour. In other words, instead of seeing wage-labour as one form of exploitation among many, alongside sharecropping, labour tenancy, and various kinds of bonded labour, these specific individual forms of exploitation may just be ways in which paid labour is recruited, exploited, and controlled by employers. The argument is not that all sharecroppers, labour tenants, and bonded labourers are wage-workers, but that these forms may reflect the subsumption of labour into capital in ways where the ›sale‹ of labour-power for wages is mediated and possibly disguised in some complex arrangements.« 12
V.
Hexis als friedliche Gewalt
Gewaltverhältnisse unter formell Freien: Dabei ist nicht in erster Linie an die inzwischen von als Psychodrama oder Management-Schulungsmaterial flachgedachte Hegelsche Dialektik von Herr und Knecht gedacht als vielmehr abermals an den Unterschied und das Gemeinsame von Hexis und Praxis. Wie viele Ausnahmezustände brauchen Macht und Herrschaft, um zu funktionieren, wie gewohnheitsmäßig können sie werden?
Macht kann man, das wissen alle, auch ohne sichtbare Gewaltmittel, sogar ohne ausgesprochene Drohung damit ausüben (die sexuelle Hörigkeit ist bloß das grellste Beispiel hierfür, auch der vage, aber nicht nur für Machiavellisten unverzichtbare Begriff des Einflusses gehört hierher), Herrschaft dagegen (also das, was in Klassengesellschaften bestimmte Klassen bestimmten anderen Klassen antun) ist eine spezifische Form von Macht, in der Gewaltausübung und Androhung stratifikatorische Funktionen haben (zum Beispiel als gewaltsame Trennung von einigen oder allen Lebensgrundlagen, die der arbeitsverweigernde Sklave, der schollenflüchtige Leibeigene – oder der arbeitslose Lohnarbeiter in einem Land ohne Zugeständnisse an die Arbeiterbewegung – riskiert). Jan Philipp Reemtsma schlägt, einer Kritik an soziohistorischen Gewalttheorien folgend, die Hannah Arendt formuliert hat, vor, die Herrschaft als etwas anzusehen, das, weil es anders als die durchaus punktuell denkbare Macht »auf Dauer angelegt« ist, ein »System von Beziehungen« sein muß, »das Stabilität garantieren soll«. 13 Wir übernehmen diesen differenzierenden Begriffsgebrauch gern, möchten aber die (an eine venerable Aufklärungstradition angelehnte) am selben Ort ausgesprochene Reemtsmasche Prämisse, wonach Macht etwas Soziales sei, Freiheit aber etwas, das dem Individuum, etwa Defoes Robinson Crusoe, auch ganz alleine zukommen könnte, grundsätzlich in Zweifel ziehen, weil ein einsamer Inselbewohner zwar nicht unterdrückt ist, aber auch nicht frei, da Freiheit, ähnlich wie Macht und Herrschaft, ein soziales Verhältnis bezeichnet, nämlich einen Umgang von Menschen miteinander, der auf Gewaltmittel für die Erzwingung oder Verhinderung bestimmter Verhaltensoptionen verzichten muß.
»Der Mensch«, was immer das Naturrecht so zu denken vorgibt, ist eben mitnichten »an sich« frei – das ist er nur vom Standpunkt der liberalen Monade, die aber selber erst als Produkt einer historischen Entwicklung vorkommen (der einsamste Philosoph hat eine Mutter, und wenn die ihn verläßt, durch Tod oder Davonlaufen, hat sie ihn nicht nur befreit, sondern auch beraubt, nicht immer absichtlich). Selbst ein reines – in unseren Tagen und Gegenden immer häufiger beobachtbares – Gleichgültigkeitsverhältnis von Menschen gegeneinander ist ein soziales Verhältnis, ein fürchterliches eben. Menschen mögen alleine auf Inseln wohnen, aber, wie die Binse rauscht, niemand ist selbst eine Insel. Entfremdung, Einsamkeit: Das sind soziale Zustände, die eng mit Macht und Herrschaft verbunden sind, nämlich von dieser erzeugt und verhindert werden.
»Auf die Welt kommen« heißt, sich in Gemeinschaften begeben (versucht man, das
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