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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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ließen, müßten am letzten der Punkte ansetzen, die wir aus Barbaulds Überlegungen entnehmen, in denen sie die Frage untersucht, wieso die Klassengesellschaft der ihr von Marxinspirierten aller Preisstufen zwischen Rosa Luxemburg und Robert Kurz immer wieder unterstellten Tendenzdynamik »Das Schlechte kann nur immer schlechter werden, und die Zivilisation, die sich nicht verbessert, geht unter« so hartnäckig nicht gehorchen will, und weshalb die Widersprüche, die sie birgt, nicht nur ihren Sturz denkbar, sondern immer wieder auch ihr Fortdauern erst möglich machen.
     
    Drittens : Klassen, auch die allerausgebeutetsten, unterdrücktesten, von den sozial erzeugten Reichtümern unerreichbar weit getrennten, sind in sich nichttrivial gesellschaftsartig: Wie die arbeitsteilige Gesellschaft die Möglichkeit der Klassenbildung impliziert (die aus ihr dennoch nicht zwingend, sondern eben nur im Fall, daß jemand dies explizit macht, hervorgehen), so impliziert die Klasse die Gesellschaftlichkeit des Menschenverhaltens. Von der erlebten und begriffenen Zugehörigkeit zu so einer Klasse geht daher die Sache überhaupt erst erträglich machende Versuchung aus, das eigene Glück an eine Verbesserung der Lage der Gesamtklasse zu binden, sich innerhalb derselben also miteinander zu verabreden, als lebte man bereits in einer geplanten, klassenlosen Gesellschaft – was die Herrschaft weder verhindern kann noch gerne sieht, daher »the secret combination of the poor against the rich« 20 – ein Ausdruck, der seinerzeit auf alle wohlhabenden und mächtigen Leserinnen und Leser beträchtliche Schockwirkung ausübte. Man suchte solche combinations allerwege zu unterbinden – »Laws are continually made against combinations, but the secret combination of the low against the high can never be prevented, because it is founded on the interest of the many, and the moral sense of all.« 21
    Das Sittlichkeitsempfinden, auf das sie am Ende abhebt, das heißt der Wunsch, es möge auf der Welt gerecht zugehen, ist freilich – eine Pointe, die man im Rückblick klarer sieht, als die Verfasserin je konnte – ein Luxusbedürfnis ihrer Klasse, mit Philanthropie nur unzulänglich zu befriedigen, erzeugt durch die industrielle Revolution, die gewonnenen Mußestunden, die Blüte der Bildung und Erziehung, die damit verbundenen neuen Lernangebote (etwa für Frauen wie Barbauld) und die politische Emanzipation der Bourgeoisie, deren Grundsätze Barbauld mit dem moralischen Sinn aller verwechselt. Es sind einfach die politischen Ideen der Aufklärung, die sie mit ihrem Argument für die Unvermeidlichkeit und den moralischen Wert der combinations unmittelbar der soeben entstehenden Arbeiterbewegung vermacht.
    So also sieht der Archäopteryx aus, das missing link zwischen Bacon, Descartes, Spinoza, Voltaire, den französischen Materialisten einerseits und Marx, Engels, Luxemburg, Lenin andererseits – der Übergang vom aufgeklärten zum Klassenbewußtsein. Dies ist ein normatives Erbe, kein wissenschaftliches. Das Erbe der Aufklärung besteht, wir können das nicht oft genug wiederholen, nicht allein in Sachaussagen, ideologiekritischer Skepsis, Wissenschaftsaffinität. Die Sache hatte ein Programm, nicht bloß Meinungen und Ansichten.
    Daß combinations außer nützlich auch moralisch geboten seien, war der dem 18. und noch dem frühen 19. europäischen Jahrhundert angemessene Ausdruck der Marxschen Aufforderung, die Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen zu lesen: Wir sollten das tun, wenn wir das können, diese Aussage ist eine andere als die, wir können es.
     
    Man hat den berühmten Satz aus dem Manifest der kommunistischen Partei , alle Geschichte sei Geschichte von Klassenkämpfen, lange Zeit ausschließlich als Erklärung von etwas verstehen wollen, das man bereits kennt, aber nicht versteht, statt als Bestimmung von etwas, das man vorhat.
    Man hat sich dabei verhalten, als ob ohnehin auf der Hand liege, was Geschichte sei: die Abfolge von Haupt- und Staatsaktionen eben, die man im Geschichtsunterricht lernen kann – Kriege, Krönungen, Landnahmen, Völkerwanderungen. Der Klassenkampfbegriff wäre dann nach Ansicht von Marx und Engels der Schlüssel, mit dem man sich diese altvertrauten Phänomene begreiflich machen kann.
    Versteht man den Satz aber statt dessen als Losung einer neuen Politik, die eine bestimmte strategische Verwendungsweise des Wortes »Geschichte« festzulegen, ergibt er einen anderen, praktischen Sinn:

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