Der Implex
daran erinnert, nicht am Reißbrett statt und war in keinem Wortsinn eine saubere Angelegenheit: Vertragsbetrug, direkte Gewaltausübung zur Erzwingung unfreier Arbeit (zum Beispiel fortbestehende Sklaverei auf den ansonsten nachfeudalen, durchaus kapitalistisch geführten Plantagen der Kolonien zwischen der Französischen Revolutionszeit bis hin zu den Baumwollfeldern des amerikanischen Südens vor dem Bürgerkrieg) und die mit eher sanftem Druck erreichte Integration der Familienarbeit von Leuten auf dem flachen Land in den kapitalistischen Produktionsprozeß gingen wild durcheinander, Hauptsache, den Besitzenden war die Möglichkeit (die Leibeigenenherren und Sklavenhalter beneiden mußten) garantiert, Arbeit je nach Bedarf mal anzueignen, mal wegzuschmeißen.
Die Mobilität und Flexibilität der lebendigen Arbeit wurde dadurch ungeheuer erhöht; eine erste Bedingung für den Weltmarkt (die zweite ist die Entwicklung von Transportmitteln und das Bahnen von Wegen, für beides wird genau jene lebendige Arbeit eingespannt). Naiv ist, wer diese Mobilität mit Freiheit gleichsetzt, nur weil die Menschen, in deren Körpern die Arbeit damals noch exklusiv zuhause ist, nicht mehr an irgendeine Scholle gebunden und denen rechtlich in allen außer den Besitzbelangen gleichgestellt sind, die ihre Arbeitskraft kaufen. Die formelle Freiheit der Wahl des Arbeitsverhältnisses, dergegenüber die Unfreiheit des einmal bestehenden Kontrakts nach liberaler Auffassung so wenig ins Gewicht fallen soll, ist scheinhaft insofern, als diejenigen, die über kein Privateigentum an irgendeinem profitablen Produktionsmittel verfügen, keinerlei Wahl haben, wenn es darum geht, ob sie ihre Arbeitskraft überhaupt verkaufen wollen – wenn sie können, müssen sie, und noch heute ist arbeitslos vor allem, wer nicht gebraucht wird (statt, wie die Hetze etwa der BILD-Zeitung suggeriert, wer nicht will und sich einen schönen Lenz macht. So schön ist der Lenz nicht, wenn die Gnadenerweise jederzeit entzogen werden können. Getröstet sehen die Betreffenden nicht aus; besoffen oft genug, und kein Existenzgeld wird sie erlösen, solange es als Abgezweigtes vom sonstigen, über Lohnarbeit organisierten Verdienst des Gemeinwesens bloß abgezweigt, also als verweigerbare Gunst hergeschenkt ist).
Die marxistische Tradition drückt dies in der Form aus, daß die Nichtbesitzenden dem Kapital gehören, lange bevor sie sich an Kapitalisten verkauft haben, und ihre ökonomischen Fesseln nur durch den periodisch aufzufrischenden Verkauf, die wechselnden Herren und die Schwankungen des Marktpreises ihrer Arbeitskraft verhüllt werden. Anspruchsvoll philosophisch ausgedrückt finden wir das bei Sartre, unter Verweis auf die aristotelischen Kategorien Hexis und Praxis , in der Kritik der dialektischen Vernunft , eine Vokabelentscheidung, mit der dann später Lebensstil- und Geschmacksanalytiker wie Bourdieu wieder ihre eigenen Späße trieben.
Die Tätigkeit des nüchtern resignierten Sichverkaufens und Sich-zur-Arbeit-Schleppens beschreibt der Philosoph als eine Art Gewohnheit ( Hexis, ein Wort, das »Haltung« bedeutet, Sartre aber möchte idealistischen Fehldeutungen entgehen und nicht in der black box des Bewußtseins herumkramen, er sieht darin deshalb eine statistische Verhaltensdisposition; diese Lesart, der wir uns anschließen, ist sozusagen parabehavioristisch ) und hebt sie damit ab von etwas, das ein freies Wesen, ermächtigt zur Entscheidung, tun würde (Praxis) ; die Liberalen müßten dagegenhalten: Die Gewohnheit ist organisiert und steht in einem Mittel-Zweck-Verhältnis; der Streit, käme hier einer zustande, müßte dann davon handeln, ob die Besitzlosen Subjekte sind oder nicht – und liefe sofort Gefahr, weltfremder Begriffsbudenzauber zu werden, solange man ihn nicht in geschichtlicher Perspektive sieht. Ob eine Gruppe aus Subjekten besteht, erkennt man daran, was historisch aus ihr wird und wer das entscheidet.
Wenn das Proletariat, die Klasse an sich als Phänomen der kapitalistischen Arbeitsorganisation auf einem bestimmten Posten, nicht zur Klasse für sich wird, die diesen Posten verlassen und die Arbeitsorganisation ändern kann, wenn die Proletarisierung immer diffuser, immer weniger intern über gemeinsame solidarische politisch-soziale Praxis verbundener Gesellschaftsgruppen fortschreitet, ohne daß irgend jemand das so recht will, dann ergreift die Unfreiheit in der scheinhaften Freiheit noch die begriffliche Verfügung
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