Der Implex
in allgemeines Unglück; zwar zog er daraus zunächst die ein bißchen zweckoptimistische Lehre, gegen letzteres könne sich ein über sich selbst aufgeklärtes Geschöpf immer noch besser zur Wehr setzen als eins, das sich nicht einmal kennt, aber da dieses Sichzurwehrsetzen alleine je nach Ausgangsposition schlecht zündet, hielt er das allgemeine Unglück, da ihm nicht einfiel, wie sich das Alleinsein auf therapeutisch-psychologischem Weg auflösen lassen soll – es geht ja auch nicht –, am Ende für unabänderlich). Daß die vom Verlassen- und Verrücktgemachtwordensein Geschlagenen in einem Gemeinwesen, das nicht mehr ständisch, sondern nach freier Verkäuflichkeit von allem und jedem geordnet ist, wobei es dann eben entscheidend darauf ankommt, ob man etwas zu verkaufen hat oder nicht, obendrein von demselben abstrakten Lehrkörper »Aufklärung«, der ihnen schon den wenig ergiebigen Rat mit dem eigenen Verstand erteilt hat, andauernd hören, sie seien an etwaigen Engpässen und Mißgeschicken selber schuld, wie frei, kann ja wirklich zu nichts anderem führen als dazu, daß nicht nur diesem Lehrkörper, sondern früher oder später, wie das Sprichwort sagt, auch den eigenen Augen nicht mehr getraut wird (das Ende ist dann jene verbogene Ernüchterung, die man zu hören kriegt, wenn jemand ansonsten halbwegs Vernünftiges mal wieder erzählt: »Ich glaub ja nicht, was in der Zeitung steht«, sie aber – zur Unterhaltung? Was käme dabei dann heraus? – täglich liest und mehr über das, was darin steht, weitersagen kann als über die Verhältnisse im eigenen Berufsbild, falls es da noch eins gibt).
So sieht die Nährlösung des Neopyrrhonismus aus; ganz danach ist er geraten. Hat man sich das in Ruhe angesehen und damit auch die Angst, die Anomie, die Hilflosigkeit objektiviert, aus der das Phänomen besteht, kann man immerhin den Entschluß fassen, sich davon nicht dumm machen zu lassen, und sich nunmehr wieder dem Gehalt des Neopyrrhonismus zuwenden: Man weiß jetzt, warum er geglaubt wird, und kann sich deshalb mit etwas mehr geistiger Beweglichkeit und weniger falschem Respekt der Analyse dessen zuwenden, was da geglaubt wird.
Die skeptischen Moden der Neuzeit läßt man bequemerweise meist mit dem Bischof George Berkeley beginnen; noch Lenin hat das getan, wir wollen es nicht verschmähen. Sie alle, auch da, wo sie sich am entschiedensten von des Bischofs Vorarbeit distanzieren, gravitieren zu einem doppelten Argument, einer Art binärem Kampfstoff zur Zerstörung des Erfahrungswissens hin, dessen beide Komponenten ausgeschrieben lauten:
a) unsere Sinnesorgane und unser Verstand können sich irren, also ist die Gesamtheit dessen, was wir mit ihrer Hilfe erfahren, jedenfalls nicht würdig, in dem Sinn als »Wissen« bezeichnet zu werden, den die Alltagssprache und Lehren wie die Baconsche dem Wort beilegen.
b) selbst wenn sich unsere Sinnesorgane und unser Verstand einmal NICHT irren würden, wäre das, was wir mit ihrer Hilfe herausbekommen, immer noch nur von der Art der Dinge, die eben unsere Sinnesorgane und unser Verstand fassen und für ihr Fassungsvermögen zurichten können, also zumindest nicht würdig, in dem Sinn als »objektiv« bezeichnet zu werden, den die Alltagssprache und Lehren wie die Baconsche dem Wort beilegen, denn wir nehmen nie das Ding selber, sondern das von ihm reflektierte Licht, die von ihm ausgehenden oder abprallenden Schallwellen et cetera wahr und denken dieses Ding auch nicht als solches, sondern nur im Rahmen der Anschauungsweisen, die unserem Verstand, er weiß nicht, wie und woher, nun einmal eigen sind.
Man muß keine Aufklärungsaktien halten, um diese beiden als Stiche ins Herz des Induktivismus gemeinten Einfälle für nicht besonders schlagend zu halten. David Stove hat sie in zahlreichen Arbeiten auseinandergenommen, obwohl er zum Positivismus ganz ähnlich steht wie wir zur Naturrechtslehre – so, wie wir sie für verkehrt, aber eine Voraussetzung des Denkwegs zum Richtigen halten, hält Stove der Aufklärung zugute, daß sie den Glauben an so manches zerstört hat, woran er auch nicht glaubt; daß sie das unternahm, um eine Befreiung von Unrecht, Leiden, Elend vorzubereiten, an deren Möglichkeit Stove nicht glaubt, ist ihm dabei gleich. Stoves Haupteinwand gegen die beiden neopyrrhonistischen Zentraldogmen lautet, daß sie zuviel – nämlich überhaupt etwas – aus der Tautologie machen, daß menschliche Erkenntnisse nie etwas
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