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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Naturwissenschaften selbst auszeichne, bilde man nicht gemeinsam eine große Forschungsfamilie? Epistemologisches Judo also, dem man mit Klagen über »Relativismus« nicht beikommt. Wir versuchen das deshalb gar nicht erst, sondern probieren lieber etwas anderes aus, nämlich ob man das Unbehagen an den Geltungsansprüchen naturwissenschaftlicher Aussagen, das den Erfolg jener Wissenschaftslehre nährt und von ihm wiederum zur intellektuellen Tugend nobilitiert wird, nicht selbst historisieren kann – die Kuhnianerinnen und Feyerabendisten erklären unter Rückgriff auf soziologische Kategorien und Erzählweisen, wie die Ansichten der Darwinistinnen und Einsteinianer zustande gekommen sind; sie werden mithin nichts einzuwenden haben gegen eine Skizze, die unter Rückgriff auf ebensolche Kategorien das Zustandekommen ihrer eigenen interessanten Ansichten erläutert.
     
    Deren rhetorisches Hauptmerkmal ist, wie wir mehrfach gezeigt haben, das Ineinssetzen der sozialen Wissenschaftsgeschichte mit der Binnenentwicklung der wissenschaftlichen Aussagesysteme; was die Forschung sagt, wird in einer Art reduktiver Kompression in das zurückgefaltet, was die Forschung tut und was ihr sozialgeschichtlich widerfährt, um in einem zweiten Schritt wieder daraus hervorgeholt zu werden, mit dem Gestus einer abstrahierenden Herleitung – die Redefigur läßt sich bis in die Romantik zurückverfolgen, bis in Schellings Zeitschrift für spekulative Physik und früher, ihre Reifegestalt aber, von der alle heute kurrenten Spielarten abgezweigt sind, erhielt sie mit dem Falsifikationismus, kritischen Rationalismus und Hypothetiko-Deduktivismus Poppers, der die empirische Wahrheit des Fortschreitens der Lehrsysteme durch Konkurrenz einander widerlegender Leute zur quasi-analytischen Wahrheit der »Logik der Forschung« deklarierte. Er tat dies in Absetzung zu den Bemühungen der logischen Positivisten (und als eine Art in quasi-falsifikatorischer Stoßrichtung unternommener Angriff auf sie), deren Treiben man sich als das großangelegte Projekt verständlich machen kann, alles, was seit Bacon nicht inhaltlich, sondern methodologisch in der Wissenschaft geschehen war, zu ordnen, zusammenzufassen und als die richtige Wissenschaftstheorie zu kanonisieren. Im Ausgang des neunzehnten, an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert und im ganzen ersten Drittel des letzteren, also der Zeit, da der logische Positivismus Gestalt annahm, findet man in den Einzelwissenschaften selbst viele Parallelen zu ebendiesem Projekt: In der Biologie beginnt man, sich um eine von Darwin angeregte neue Taxonomik und Systematik zu kümmern (die Sache ist bis heute unabgeschlossen); in der Chemie bringt man die Verhältnisse unter dem Eindruck des Periodensystems in Ordnung; Hilbert regt an, verbleibende unklare Ecken voll Wust und Nacht im Innersten der Mathematik zu behandeln, wie Herkules den Stall des Augias behandelt hat; und die Physik der Epoche bleibt bis tief in ihre schwerste Krise seit Galilei der Vorahnung Maxwells verpflichtet, die Suche nach den Grundlinien eines physikalischen Weltbilds, zwischen denen dann nur noch das Gitterwerk der Spezialfälle ausgearbeitet werden müsse, ließe sich demnächst mit einer »Theorie für alles« zum Abschluß bringen. Das neunzehnte Jahrhundert traute sich solche Titanenwerke allenthalben zu; auch Marx verdient hier genannt zu werden, denn der wollte ja nicht allein, in Gestalt des Kommunismus, das aufgelöste Rätsel der Geschichte präsentieren, sondern auch, in Gestalt seiner Theorie, das aufgelöste Rätsel der Gesellschaftswissenschaften; Weber steht ihm, was diesen Begriff von der angestrebten Reichweite angeht, darin übrigens in nichts nach.
     
    Die logischen Positivisten hatten, wie das Adjektiv im selbstgewählten Namen verrät, das schwere Erbe der logisch allein (also unter Ausklammerung des Wollens, Sollens und der Geschichte) leider nicht zu beschreibenden, sozial aber offenbar als Wissenschaftssystem, Verwissenschaftlichung, Technisierung sehr erfolgreichen Maschine »instrumentelle Vernunft« aus lauter Relationen zwischen Induktion, Deduktion, Empirismus und Rationalismus, das die Vernunft seit ihrer sozialen Konstitution in der bürgerlichen Emanzipationszeit mit sich herumträgt, angenommen und suchten es gegen neue Formen der Skepsis, die sich nicht einmal stets als Skepsis bekannte, zu verteidigen – »pyrrhonischen Denkplunder« nennt Peter Hacks sehr schön diese mit dem Imperialismus in

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