Der Implex
anderes oder in irgendeinem entzifferbaren Sinn »mehr« sein können als menschliche Erkenntnisse. Er stellt sie in eine Reihe mit anderen Versuchen, aus Tautologischem zu angeblich relevanten Anschauungen oder Haltungen zu gelangen, zum Beispiel dem Fatalismus, der aus der Selbstverständlichkeit, daß morgen passieren wird, was morgen nun mal passieren wird, und nicht etwas anderes, herauslesen will, daß es folglich egal ist, was irgend jemand heute tut oder läßt. Wären die beiden neopyrrhonistischen Zentraldogmen wirkungsvolle Hebel gegen die Geltungsansprüche induktiven Schließens, dann müßte ein banal wahrer Satz wie »Die Interessen der Person X sind ihre Interessen« auch hinreichen, zu beweisen, daß die Person X niemals uneigennützig denken oder handeln kann, ja eigentlich noch nicht einmal kooperieren.
IV.
Was es alles (nicht) gibt
Der Denkunfall, dem Berkeley und die, die ihm willentlich, wissentlich oder nicht gefolgt sind, zum Opfer fielen, ist im wesentlichen ein Zusammenprall der beiden Aufklärungshauptlinien »Empirismus« und »Rationalismus«; das Allgemeine, auf das es letzterer abgesehen hat, wird ins Besondere, an dem ersterer sich orientiert, hineingestopft, und wenn das schiefgeht, soll die menschliche Erkenntnis an sich desavouiert sein. Viel mehr ist wirklich nicht dran, und von Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung bis zu den kompliziertesten Anstrengungen seines Antipoden Hegel, aus dem Satz, es gebe kein Objekt ohne ein Subjekt, irgendeinen über die Grammatik hinaus in die Welt der Sachverhalte führenden Trampelpfad zu finden, zehrt alles davon, was die Skepsis je verstärkt hat, die es zu überwinden hoffte. Attraktiv bleibt jene, weil sie, wie oben beschrieben, zu einer massenhaften Erfahrungswirklichkeit paßt, in der die Welt zwar nicht mehr opak, aber als soziale auch noch nicht unter die Bestimmung der Vernunft gesetzt ist – wie wir wohnen, was wir arbeiten, das alles bleibt entfremdet (selbst für die Besitzenden, deren Mühen, soweit sie sich welche abringen müssen, nicht dem Lebensgenuß, sondern dem Profit dienen). Daß auch Biologinnen, Physiker oder Mathematikerinnen dem Neopyrrhonismus seit Beginn des Hochimperialismus so weit entgegenkommen wie nur irgend möglich, nimmt also nicht wunder; sie leben ja in keiner anderen Gesellschaft als der Rest derjenigen, die der Verwertung des Werts unterworfen sind. Wo also Menschen mit Namen wie Maturana, Varela, Heisenberg oder Bohr die Vermutung nicht abschütteln können, jemand verlange von ihnen außer Einzelergebnissen auch noch eine Ontologie, klingen sie bald wie jener amerikanische Präsident namens William Jefferson Clinton, der 1998 bei einem denkwürdigen öffentlichen Verhör betreffend eigene Ehebruchsgeschichten plötzlich ins philosophische Ruminieren darüber geriet, was eigentlich die Definition von »ist« sei: »It depends on what the meaning of the word ›is‹ is. If the – if he – if ›is‹ means is and never has been, that is not – that is not the only one thing. It means there is none. That was a completely true statement.« 256
Wenn es ein schlechtes Gegenteil des schlechtesten Reduktionismus gibt, dann hat Clinton es gefunden – man muß sich vor seiner Verwirrung, die als Karikatur der »Kopenhagener Deutung« keine schlechten Dienste täte, allerdings nicht in mechanischen oder feuerbachischen Holzhammermaterialismus flüchten, der das, was es gibt, notwendig als eine Art Stoff denken muß, für den der Tastsinn zuständig wäre. Die Begriffsingenieurinnen und -techniker der Philosophie haben seit Berkeleys fleißigsten Zeiten einige unverächtliche Ereignis- und Sachverhaltsontologien erfunden, man verwende sie nach Angemessenheit und verliebe sich in keine. Auch Epistemologien lassen sich bedarfsangepaßt zu Rate ziehen, wenn man nach Metasprachen zu einzelwissenschaftlichen Objektsprachen sucht; daran, daß man sie wechseln kann, ist nichts beliebig, auch für einen physikalischen Gegenstand wie etwa irgendein Fließen lassen sich ja verschiedene Dynamiken, verschiedene computationale Simulationstechniken auswählen, um jeweils verschiedene Daten(-sorten) zutage zu fördern. Unter den an Ehrgeiz hinter alten, in der Aufklärung gebräuchlichen, cartesischen oder anticartesischen Epistemologien ruhig zurückstehenden, dafür aber robusten Beschreibungen von Welterschließungsweisen gefällt uns, wie wir schon haben durchblicken lassen, persönlich am besten Davidsons
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