Der Implex
ja unbedingt wählen muß, wenn Ihr das eine eher als das andere wählt. Damit ist ein Punkt klargelegt. Aber Eure Seligkeit? Wären wir Gewinn und Verlust, wenn wir uns für das Bild entscheiden, daß Gott ist. Schätzen wir diese beiden Fälle ein: Wenn Ihr gewinnt, so gewinnt Ihr alles, und wenn Ihr verliert, so verliert Ihr nichts: Wettet also, ohne zu zögern, daß er ist?« 263
Das stimmt, ein weiteres Opfer der Arbeitsteilung und seines Reflexes, des Idealismus, allerdings nur, solange aus der Annahme, »daß Gott ist«, keine (z.B. religiöse) Praxis abgeleitet wird; sobald das geschieht – und ein Glaube, der nichts weiter fordert, als geglaubt zu werden, ist, da Probehandeln und Handeln ein nicht nur energetisches Kontinuum bilden, nun mal schwer vorstellbar, auch wenn das Christentum, da es weniger Vorschriften enthält als etwa das Judentum, häufig damit beworben wurde, es sei so ein Glaube –, verliert man aber doch etwas; alle Handlungsalternativen nämlich, die man meiden muß (»Sünde«), wenn man glaubt. Formallogisch freilich ist Pascals Argument tadellos – und kommt uns daher gelegen als Leihgeber für die Form, welche das Versprechen der Aufklärung haben sollte, wenn man es aus der Klassengesellschaft löst, in der es entstand: Wer glaubt, daß die Welt einheitlich und isotrop ist, eröffnet sich eine Menge Erkenntnisquellen, eine Welt ist in jedem ihrer Aspekte so endlich begreiflich wie Pascals Gott »unendlich unbegreiflich«, und verloren wird dabei nichts außer das »unendliche Chaos« Pascals, das zwischen uns und dem ens realissimum brodelt.
Eine Gehorsamsleistung gegenüber Offenbarungen oder Offenbarungssystemen, also das, was Pascals Wette in der Praxis an Einsatz fordert, ist mindestens so skeptizismusanfällig wie das Naturgesetzkonzept – kann nicht selbst eine persönliche Offenbarungserfahrung, wie sie Pascal zuteil geworden sein soll, kann nicht auch Gnosis Irrtum sein, Selbsttäuschung etwa, oder Gaukelei von Dämonen? Man braucht, um von Pascals Wette zum Gehorsam zu gelangen, wieder so etwas wie die wissenschaftliche Methode; das Gesamte der Welt, da von Pascal mit seiner Ratio in Begriffe gesetzt, ist auch hier einheitlich, isotrop: Aufklärung plus Deismus also ist der Gehalt von Pascals Wette, er teilt den Monismus seiner Epoche, wie später der objektive Idealismus Hegels bis zu dem der englischen Granden des neunzehnten Jahrhunderts von den gleichzeitig formulierten verfeinerten Abkömmlingen des französischen Materialismus for all practical purposes gar nicht so leicht zu unterscheiden ist; auch dazu gibt es kluge Ausführungen von David Stove.
Der Gehalt der anderen, der den Deismus sozusagen einklammernden aufgeklärten Wette auf das Wissen in einer einheitlichen und isotropen Welt ist, daß zwar alles morgen anders werden mag als heute, dies aber nicht auf dem Weg des unbegreiflichen Eingriffs in die gesamte Weltordnung geschehen kann, des Wunders im strengen Sinn, sondern höchstens auf eine Art, die sich im Rückblick als in dem, was man zuvor wußte, bereits enthalten erweisen wird – die Zukunft als Implex der Gegenwart, unter Ausschluß des in letzterer schlicht Undenkbaren, Unvermutbaren, des eigentlichen Wunders. Spinoza, im theologisch-politischen Traktat, macht zwischen diesem »eigentlichen Wunder« und dem, was die Religionsnarrative, denen er bei Strafe der Lebensgefahr Konzessionen machen muß, als Wunder führen und was er nicht ausschließen will:
»Ich könnte zwar sagen, ein Wunder sei etwas, dessen Ursache aus den Grundgesetzen der natürlichen Dinge, soweit sie durch das natürliche Licht bekannt sind, nicht erklärt werden kann. Weil aber die Wunder nach der Fassungskraft des Volkes geschehen sind, das von den Grundgesetzen der natürlichen Dinge überhaupt nichts weiß, so haben zweifellos die Alten all das für ein Wunder gehalten, was sie nicht so erklären konnten, wie das Volk die natürlichen Dinge gewöhnlich erklärt, nämlich mit Hilfe des Gedächtnisses, indem es sich einer ähnlichen Sache erinnert, die es sich ohne Verwunderung vorzustellen pflegt.« 264
Versteckt kann man in diesem Absatz den präzisen Umriß der Wette auf die eine, isotrope Welt erkennen, die wir für eine der Kernnormen des ganzen Aufklärungsunternehmens halten: Es gibt nichts und wird auch in Zukunft nichts geben, das nicht »aus den Grundgesetzen der natürlichen Dinge, soweit sie durch das natürliche Licht bekannt sind«, erklärt werden
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