Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
Vom Netzwerk:
Theorien, aber was dieses »nur« eigentlich sein soll, außer selbst eben nur eine soziale Konvention, die aus der Geschichte menschlicher Selbstüberschätzung als via Offenbarung direkt ans Schöpferhirn angeschlossene Sonderspezies folgt, kann einem niemand erklären.
    Nach einigen Jahrzehnten von aus diesem fatalen »nur« gemolkenen Debatten wirkt der Kinderstolz, der immer noch Buchtitel hervorbringt wie »Never Pure: Historical Studies of Science as if It Was Produced by People with Bodies, Situated in Time, Space, Culture, and Society, and Struggling for Credibility and Authority« von Steven Shapin, eher peinlich.
     
    Entsetzt und empört wären Menschen von Peter Galison bis Nancy Cartwright, die dergleichen auf unvergleichlich höherem Niveau, aber mit derselben Freude am Entlarven des nirgendwo mehr Verlarvten dichten und bewundern, wenn man sie in einem Atemzug mit Philipp Lenard nennen würde, der aber doch immerhin ein verdienstvoller Physiker war und 1905 für seine Kathodenstrahlforschung sogar den Nobelpreis erhielt, zur Zeit des Nationalsozialismus aber der Alphaforscher der »deutschen Physik« wurde, also die Zurückweisung der Relativitätstheorie und nicht unwichtiger Teile der Quantenmechanik zu organisieren suchte, weil jene »jüdisch«, also dialektisch-deduktiv seien. Wissenschaft, lehrte Lenard und verstieß dabei zunächst einmal gegen nichts, was Steven Shapin in seinen Buchtitel packt, sei niemals rein, niemals wertfrei zu haben, sondern wie alles, was Menschen tun, nun einmal rassisch und blutmäßig bedingt (heute sagen auch Rechtsradikale, etwa Alain de Benoîst, dazu lieber »culture and society«, ganz wie Shapin, der allerdings hoffentlich etwas ganz anderes meint). Brave Antifaschistinnen wären gewiß beruhigt, wenn sie sagen könnten, daß abgesehen von dieser Rassenmetaphysik die konkrete Forschung, welche Lenard unter ihrem Einfluß trieb, wenigstens falsch und die seiner Gegner richtig gewesen sei; peinlicherweise aber hängen diese Dinge nun einmal nicht so deterministisch zusammen, wie man’s gern hätte, böse Menschen haben nicht nur Lieder, sondern manchmal auch Einsichten, und gute irren sich oder schummeln (allein deshalb übrigens ist es, wie wir im letzten Kapitel ausgeführt haben, wichtig, normative Sprachgebräuche nicht reduktionistisch abzustellen wie eine Unart).
    Emil Rupp, der eine Weile bei Lenard gearbeitet hatte, lief zur Relativitätstheorie über und behauptete, ein Experiment durchgeführt zu haben, das den Welle-Teilchen-Dualismus bestätige. Das stellte sich als Fälschung heraus – die aber nicht falsch war, weil es sich etwa um »jüdische Physik« gehandelt hätte, genausowenig wie Lenards eigene Arbeiten richtig gewesen wären, weil sie arisch waren.
    Die bemerkenswerte Blindheit, die darin steckt, die »Reinheit« der wissenschaftlichen Methode zum Schibboleth zu erklären und dann zu verhöhnen, weil sie von Menschen umgesetzt wird, die in ihren diversen überdeterminierten Kontexten leben, ist verblüffend: Erstens hat das alles nicht einmal Bacon bezweifelt (es steht im Neuen Organon ), zweitens aber folgt daraus doch, daß die Variablen von Ort, Zeit, Körpern, Gesellschaftsformen et cetera irgendeiner Invarianten gegenüberstehen müssen, an der sie zu eichen sind, wenn man sie beschreiben will – es muß, wiederholen wir, eben doch eine Wissenschaft, eine Hexis, Praxis, Theorie, Methodik geben, die man wiedererkennen kann als etwas diesen verschiedenen Leuten in ihren verschiedenen Gesichtskreisen Gemeinsames, sonst wäre die ganze Debatte von vornherein unmöglich. Die angestrebte Konsequenz dieses Gemeinsamen gegen die fehlende Gewißheit seiner konkreten Resultate auszuspielen, kann nur gelingen, wenn man dem politischen Arm der neuzeitlichen Wissenschaften, der Aufklärung, unterstellt, sie habe versprochen, was die Religion versprochen (und nicht gehalten) hat.
    Was hat sie wirklich versprochen?
V.
Was die Aufklärung versprochen hat
    Lesen wir’s nach, bei d’Holbach im Vorwort zum System der Natur :
    »Der Mensch ist nur darum unglücklich, weil er die Natur verkennt. Sein Geist ist durch Vorurteile derart verseucht, daß man glauben könnte, er sei für immer zum Irrtum verdammt: Er ist mit dem Schleier der Anschauungen, den man von Kindheit an über ihn breitet, so fest verwachsen, daß er nur mit der größten Mühe daraus gelöst werden kann. Ein gefährlicher Gärstoff ist allen seinen Kenntnissen beigemischt und macht

Weitere Kostenlose Bücher