Der Implex
zunächst in die Versuchsreihen einfließt. So weit, so gut – unter energetisch-ökonomischem, Probehandeln zum Handeln in Beziehung setzendem Aspekt verdient allerdings bereits der bemerkenswerte Verstoß gegen die Intuition registriert zu werden, daß es offenbar inzwischen oft kosteneffektiver ist, die Gemische zu testen, als Chemikerinnen darüber nachdenken zu lassen, ob es sich lohnt, sie zu testen. Eigentlich interessant jedoch wird die Sache, wenn man Computer hinzuzieht: Sobald man den Abgleich der »mechanischen Falsifizierung« auf sehr viel größere, von menschlichen Textkräften gar nicht mehr zu bewältigende Datenmengen überträgt, desto weniger »Hypothetiko-Deduktivismus«, desto weniger leitendes Vorverständnis ist noch nötig, um durchs Gestrüpp zu finden, desto mehr stellen sich die Modelle als Korrelationen tatsächlich mechanisch, ja automatisch her – »mechanische Induktion« nennt Gillies das –, es gibt ein Programm namens GOLEM, das auf diesem Weg der nacheinandergeschalteten Filter ein Gesetz gefunden hat, das besagt, daß eine Aminosäure, deren Nachbarn auf einer Molekülkette bestimmte Eigenschaften besitzen, sehr wahrscheinlich einer bestimmten Sorte Proteinfaltung angehört. Dem Computerprogramm ist gleichsam etwas aufgefallen, nicht nur Eigenschaften, sondern Gruppen und Korrelationen von Eigenschaften haben sich bemerkbar gemacht, und damit hat man bereits den Keim dessen, was auch Popper oder Lakatos »Theorie« nennen würden: eine falsifizierbare Regel mit Vorhersagekraft.
Für die Neopyrrhonik ist so etwas Anathema; aber auch für logische Positivisten öffnet man damit eine Pandorabüchse: Wenn man den Induktionsbegriff auf diese Weise informatisiert, sagt man dann nicht, bei der Manipulation mathematischer, logischer und verwandter Ausdrücke sei ebenfalls so etwas wie Induktion im Spiel? Tatsächlich findet sich hier ein unerwarteter wissenschaftsbezogener Feldeffekt der Problematik des unscharfen Unterschieds zwischen analytischen und synthetischen Wahrheiten, die wir im dreizehnten Kapitel erörtert haben – es gibt inzwischen Beweisprogramme für Computer, die sowohl Existenzbeweise (»eine Größe x existiert«) wie konstruktive Beweise (»x ist gleich …«) durchführen, und die Mathematikerin sitzt for all intents and purposes untätig daneben wie sonst nur der Chemiker, der im Labor zwei Stoffe zusammengeschüttet hat und jetzt auf eine Reaktion wartet (der sitzt heute allerdings auch immer häufiger vor dem Computer). Wird die Mathematik damit womöglich eine experimentelle Wissenschaft? Einige Mathematiker und Physikerinnen, die sonst nicht viele Ansichten teilen, von Wolfram bis Chaitin, bejahen das inzwischen, andere wie Roger Penrose werden von solchen Aussichten in den Platonismus getrieben.
Anderswo als im dergestalt schon wieder Ontologischen, näher am menschlichen Mesokosmos, versuchen derweil Teilnehmerinnen einer neuen Metadiskussion der Forschungspraxis, den mit dieser Autonomisierung des Simulationsbereichs verbundenen Bruch – ist es ein epistemischer? Ein methodologischer? – genauer zu beschreiben. Daß in ihm Quantitäten – die schieren Datenmassen, die beim number crunching heute verarbeitet wird – eine qualitative Veränderung der Erkenntnisarbeit bewirkt haben, ist unbestreitbar; was die neue Qualität für einen Namen haben soll, bleibt umstritten. Man spricht bezüglich der Simulation inzwischen schon von einer »dritten Säule« der Forschungsarbeit neben der Deduktion (dem Manipulieren von Gleichungen) und der Empirie (dem Experiment). Die erste der beiden klassischen Säulen ist selbst als Werkzeug der Erschließung tatsächlich vorher unbekannter Zusammenhänge vergleichsweise jung; wie man etwas durch Beobachtung herausfindet, durch Wiederholung auf seine Regelhaftigkeit überprüft und durch Gegenprobe festklopft, wußten schon manche Altägypter, daß man aber (beispielsweise) etwas Hochabstraktes und zugleich Hochreales wie die Antimaterie als reines Artefakt gewisser Gleichungen zu Gesicht bekommen und dann erst, nach gezielter Suche, das erste Positron beobachtet, hat der Physik erst ihre Moderne beigebracht, in diesem Fall vertreten durch Paul Dirac, den deshalb manche im Verdacht hatten, eher Platonist als Positivist zu sein, weil sein ungewöhnlich ausgeglichenes Temperament ihm nahelegt, dem eigenen Rechnen mehr zu vertrauen als dem experimentellen Herumprobieren anderer.
Leute wie er – man spricht von
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