Der Implex
sie notwendig schwankend, unklar und falsch: Er wollte zu seinem Unglück die Grenzen seiner Sphäre überschreiten und versuchte, sich über die sichtbare Welt zu erheben; und unaufhörlich belehrten ihn wiederholte schreckliche Rückfälle vergeblich über die Torheit seines Unternehmens: Er wollte Metaphysiker sein, ehe er Physiker war; er verachtete die Wirklichkeit, um über Hirngespinste nachzusinnen; er vernachlässigte die Erfahrung, um sich an Systemen und Vermutungen zu erbauen; er wagte nicht, seine Vernunft zu pflegen, gegen die ihn einzunehmen man frühzeitig Sorge getragen hatte; er wollte wissen, welches Schicksal ihn in den imaginären Regionen eines jenseitigen Lebens erwartete, ehe er daran dachte, an dem Ort glücklich zu werden, wo er lebte. Kurz: Der Mensch mißachtete das Studium der Natur, um Phantomen nachzulaufen, die ihn wie die Irrlichter, die der Wanderer des Nachts erblickt, erschreckten, ihn blendeten und ihn vom einfachen Weg des Wahren abbrachten, ohne den er nicht zum Glück gelangen kann.« 258
Man muß keine Obskurantistin und kein Dunkelmann sein, um bei diesen Sätzen wehmütig oder ironisch zu lächeln. David Stove hat aus diesem Lächeln einen ganzen Essaystil gemacht, als Philosoph, der vom Positivismus die Vorliebe für Dinge übernommen hat, die sich beobachten oder per logischem Schluß herleiten lassen, aber den damit verbundenen zivilisatorischen Optimismus für ein Rudiment der Aufklärung hält, auf das man besser verzichtet. Als geschworener Induktivist hat Stove die Poppersche und auf sie folgende Wissenschaftsskepsis stets dafür kasteit, daß sie suggeriert, der Abschied von der Aufklärung mache freier als diese: Frei, findet Stove, macht gar nichts, auch nicht die Wahrheit, sie zeige nur, wie unfrei man nun einmal wirklich ist, Abhängigkeit, Schwäche, kurzes Leben, wenige Inseln der Vernunft und vorher wie nachher das Nichtsein – die Holbachsche Haltung, der Weg zur Wahrheit sei zu finden, wenn man nur die Vorurteile abstreifen könne, und im Besitz der Wahrheit sei dann auch das Glück zu organisieren, kommentiert der melancholische Australier daher so: »This must be one of the silliest things ever said. (…) When Copernicus got the solar system basically right, or when Newton discovered universal gravitation, were people happier on that account?« 259
Der aufgeklärte, aber die Aufklärung schmähende Reaktionär – von dieser Sorte, die so klar argumentiert und deren Irrtümer so leicht zu identifizieren sind, hatte das neunzehnte Jahrhundert viele, sie sind leider rar geworden – ist selbstverständlich nicht so kindisch zu leugnen, daß die industrielle Revolution den einen oder anderen lebensweltlichen Zugewinn in die Welt geworfen hat. Durch Jahrtausende waren die an meßbarem Güterkonsum zu eichenden Wohlstandskennziffern mehr oder weniger statisch; selbst in Armutszonen weit jenseits der Metropolen sind heute mitunter Lebensalter erreichbar, die in mitteleuropäischen Pestzeiten unvorstellbar waren, et cetera. Stove will nicht darauf hinaus, Verwissenschaftlichung lasse alles beim alten. Er nimmt den Umstand aufs Korn, daß etwas versprochen wurde, von dem kein rechtschaffener Mensch wissen konnte, ob es erreichbar war: »The Encyclopedists and their allies never dreamed of advocating Enlightenment for its own sake. They assumed that Enlightenment needed justification, and the justification of it always was, that it improves human life. (…) I do not mean that the justification of Enlightenment was a purely utilitarian one: that would be a mistake, and in many cases a slander« 260 , vielmehr seien die Aufklärer zunächst davon ausgegangen, wissende Menschen seien »not necessarily the happiest of men, but the first ones to be fully grown-up«, 261 das Glücksversprechen aber habe dies supplementieren müssen, weil man sonst nicht die zur Zerschlagung der sozialen Bollwerke des Vorurteils notwendige populäre Unterstützung hätte mobilisieren können, der sich zugewandt zu haben nach Stove aber ein Rückfall ins Kindische ist – »Enlightenment was always intended to benefit the WHOLE human race, whereas the progress of knowledge, and the dignity of it, are things which never matter to more than a few people. What is geocentrism or heliocentrism to most human beings? What is Newton’s or Descartes’ theory of gravitation, or Mendeleevs table, or quantum mechanics or its successor?« 262
Der strenge Mann fällt, Postpositivist oder
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