Der Implex
Computer-Fenster-Effekte und so fort).
Die inhaltsorientierte Schule dagegen setzt sich, wie die schönste agitatorische Kunst von Brecht bis Peter Weiss, aber ohne deren eindeutige Parteinahme, allerlei Zeitproblemen aus, und bekommt so plötzlich riesige Schwierigkeiten, längere filmische Essays über die nicaraguanischen Contras (»Miami Vice«) oder die politischen Weiterungen des Ölgeschäfts (»Dallas«) in ihre diesen Dingen eigentlich fremden Krimi- oder Soap-Formate zu integrieren. In den letzten Jahren hat der kulturalistische »Mainstream der Minderheiten« (Tom Holert/Mark Terkessidis) dafür gesorgt, daß immer abseitigere, randständigere soziale Zonen serienkolonisiert wurden, bis hin zu sonst klassisch dem Film vorbehaltenen Lokalitäten wie dem Frauenknast. Die britische Mutter aller Frauengefängnis-Serien, die von ihren Echos in Deutschland und anderswo mehr schlecht als recht kopiert wurde, »Bad Girls«, entstand in enger Zusammenarbeit mit dem »Center for Crime & Justice Studies«, soziologisch-feldstudienartig gewonnene Rechercheresultate wurden ständig in die Handlung eingebaut – Privatisierungsbestrebungen, Versorgung, Drogen, Selbstverletzung, Mütter und Babys, der Umgang mit Aids und Hepatitis im Gefängnis.
Letztlich aber muß die inhaltliche Schule selbst eine formale werden, nämlich eine, die sich den Formgesetzen des Formats »Dokumentation« annähern muß – bald konnte man auf der »Bad Girls«-Site die polizeilichen Unterlagen einer der Hauptfiguren der vierten Staffel besichtigen, zu erzählen aber gab es in den späten Staffeln immer weniger, und immer dasselbe, wie bei den ermüdendsten Formalisten.
VII.
Was macht das novum aus den Künsten?
Seit Anbruch der Neuzeit muß sich die Kunst, ob sie sich nun vernünftig und konstruktiv gibt oder romantisch und unbewußt, zur gesellschaftlich gesetzten Größe »Vernunft« verhalten. Die Geburt dieser Größe war ein historischer Bruch (»Wir planen jetzt, was für eine Gesellschaft wir haben wollen, und setzen sie unter die für natürlich erklärte Bestimmung des von uns politisch durchgesetzten Rechts«), ihre Entwicklung vollzieht sich seither in immer neuen selbstähnlichen Brüchen – das ist die berühmte Krisenhaftigkeit der Moderne, die mit jeder neuen Runde vom Imperialismus bis zur »Globalisierung« Fortschritte und Schrecken auswirft: Seit man Pläne macht, Absichten artikuliert, diese in Widerstreit setzt, kurz, seit es das gibt, was Bürger unter Politik verstehen, herrscht eine im Alltagsbetrieb der Öffentlichkeiten (wenn auch nicht im privaten Kreis oder in sektenartigen Diskussionszusammenhängen der Dissidenz, des Protestes, der Opposition) kantische Einigkeit darüber, daß die Leute an dem, was ihnen an Üblem widerfährt, entweder individuell oder kollektiv selbst Schuld tragen, auf die Götter oder das Schicksal jedenfalls beruft man sich in den reichen Gesellschaften auf der Suche nach Mehrheiten fürs eigene Tun jedenfalls nicht (der Begriff der säkularen Gesellschaft ist ein politischer, kein psychologischer). Die Abgründe in diesem Bild, wenn also etwa allen auffällt, daß irgendeine ökonomische Krise vielleicht doch nicht nur von denen verursacht ist, die sie ausbaden müssen, sondern von etwas Abstrakterem, einem Funktionsprinzip, das sich zum Schaden der ihm Unterworfenen durchsetzt, werden mit hastig herbeiargumentierten Normativkonstruktionen schamhaft bedeckt: Es liegt an der Moral, die Investmentbanker waren zu gierig.
Wie geht die Kunst, die Reize zur Plausibilisierung nichtvorhandener Welten in die vorhandene Welt aussendet, um Haltungen zu dieser auszuprobieren, mit dieser Lage um, mit dauerhaft erregten, tatsächlichen Reizen aus der tatsächlichen Welt, von Bruchdaten der Ökonomie bis zu den moralischen Posen und Gesten, mit dem Schwung »historischer Umwälzungen«, die an der Tagesordnung sind und das ganze Leben ästhetisieren, vom Sport bis zu den Börsennachrichten, von den zu ökonomischen wie politischen Zwecken wiederbelebten Ritualen der Religionen bis zur Produktwerbung, dem ständigen novum, der sinnlichen Inflationierung dessen, was bei der Geburt der Moderne im Zuge der Selbstemanzipation des Bürgers »Revolution« hieß? Platt wird man die Ansicht nennen dürfen, daß die Künste unter solchen Bedingungen vor allem blühen müßten; der Spott des Peter Hacks, die Dramatik Brechts bestünde aus lauter Gewerkschaftsstücken, ist da schon
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