Der Implex
ihnen probehandelnd veränderbaren Inferenzen sowie den zwischen ihnen handelnd veränderbaren Kausalbeziehungen vor allem Zwecke braucht und diese daher anzieht und suggeriert wie die Resultate und Prozesse der Künste ihre Deutungen (die Menschen sind zu geizig mit ihrer Selbsteinschätzung: Wenn ihnen einmal etwas so Schönes einfällt wie die Kornkreise, müssen es immer gleich Außerirdische gewesen sein, statt daß man sich an der Kunst freut).
»Implex« bedeutet damit auch, daß ein A, welches ein B hervorbringt, nur deshalb, weil es das tut, noch nicht die Richtung vorgibt, in der man ein B zu einem C verändern kann. »Implex« bedeutet, daß das Humesche Gesetz, daß sich aus einem Sein kein Sollen ableitet, auch für das Humesche Gesetz selber gilt: Es beschreibt etwas, das nicht geht, aber daraus folgt nicht, wie man damit umgehen soll – die fatalistische Lesart, daß überhaupt kein Sollen zu setzen sei, weil es sich aus dem Sein nicht zwingend ergibt, ist ein Kurzschluß, der gegen seine Prämisse verstößt und die Alternative übersieht, insofern das Sollen nicht aus dem Sein gefolgert werden muß, wenn man es statt dessen viel eleganter aus dem folgern kann, was sein könnte (denn anders als die Beziehung von Ursache und Wirkung kennt die von Grund und Schluß keinen Zeitpfeil), verrechnet mit dem, was diejenigen, welche die Setzung vornehmen, wollen (wobei Wille, und zwar individuell wie statistisch-kollektiv, wiederum die Verrechnung von Wünschen, Ansprüchen, Erwartungen mit erfahrungsbasierten Wahrscheinlichkeitskalkülen und Frustrationstoleranzschwellen konkreter oder abstrakter Subjekte ist). Das »Sollen« wird, wenn man es in dieser Art relationalisiert, zu etwas dem »Sollwert« der Regelkreislehre eng Verwandtem (in diesem aber nicht Aufgehendem, denn seine Berechenbarkeit stößt auf Fallen, die ans Halteproblem erinnern) – mit diesem kybernetischen Sollwert übrigens haben Hartmut Köhler und Jürgen Schmidt-Radefeldt, zwei Herausgeber der deutschen Ausgabe von Valérys Cahiers , dessen Implexbegriff auf der Grundlage der Verwandtschafts- und Verzweigungsbeziehungen zwischen Thermodynamik und Informatik bereits verglichen (Thermodynamik und Informatik speisen auch einige der nachfolgenden abschließenden Bemerkungen; daß das kein Zufall ist, wird sich zeigen).
Weder das, was ist, noch das, was sein kann, noch das, was sein wird, noch das, was sein soll, ist der feste Grund und Boden, von dem Theologie wie Spekulation jahrtausendelang glaubten, seine Beschaffenheit oder Lage im Weltganzen angeben zu können. Es gibt überhaupt keinen festen Grund und Boden dieser Art, letzte Dinge, das Eschaton, der Durchbruch durch die Immanenz zur Transzendenz hin, Entelechie, Orthogenese, »Esemplasy« (Coleridge): Das alles sind Wörter für Sachen, mit denen man nichts machen kann, die vielmehr allen Handlungsergebnissen vorgreifen wollen, um die Natur des Probehandelns in der endgültigen Handlungsersparnis, der Auflösung von Praxis in Hexis, von Politik ins vorhandene Gesellschaftliche ad absurdum zu führen, Ausdruck der Vernunft im Augenblick ihrer Selbstzerstörung, der Sekunde, da die Ratio versucht, ihre Ratio zur Irratio zu bestimmen, um die Aufwandsersparnis aufs Maximum zu treiben, das Auslöschung heißt. Das Wichtigste, was der Implex uns als Begriff leisten soll, ist die systematische Weigerung, dieser Reduktionsversuchung nachzugeben. Er ist deshalb kein archaischer, kein erster unter anderen und kein letzter, kein messianischer und keiner, der die arché freilegen soll, kein Tiefenfund, sondern ein spätes, aber vorläufiges Produkt der Geschichte des Fortschrittsdenkens seit Condorcet, den er woandershin verlängern will als zu Hegel, weil Hegel dem weiteren Weg von Condorcet her als eine zwar breite und prachtvolle, aber ihres Einbahnstraßencharakters wegen in unserem Navigationsgerät Implex nicht empfohlene Sackgasse gebaut hat. Daß man das absolute Wissen, bei dem die endet, nicht braucht, kann man freilich erst sehen, wenn nach Hegel wieder ein wenig Zeit vergangen und einige Geschichte gemacht worden ist, in einer Richtung über das absolute Wissen hinaus, von der Hegel glaubte, sie sei die zu ihm hin, der ganze denkmögliche und als Arbeit zur Erlangung jenes Wissens nötige Fortschritt.
Die Felder der mit der Selbstemanzipation des Bürgertums von unbegriffenen Traditionszusammenhängen erreichten epistemischen wie praktischen checks and balances in
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