Der Implex
entscheiden, ob aus der Kinderfreundschaft etwas Erwachsenes, Intimeres und Anstrengenderes werden soll oder nicht. Und so erklärt sie ihm in einem Monolog, der unausgesprochen, aber deutlich auch an die Zuschauer gerichtet ist, gleichsam ständig von innen gegen die Mattscheibe klopft, daß sie die ständigen episodischen Scheinsensationen satt hat, daß man doch sowieso weiß, daß nach einer Stunde angeblicher Riesenereignisse im Leben der Serienfiguren letztlich alles beim Alten bleiben muß, weil das Serienformat, in dem man als Jugendlicher auch aufgrund der fixen Termine von Schule und erlaubter Freizeit existiert, das erzwingt. Der Witz daran ist, daß alles, was Joey sagt, zwar wirklich stimmt, die Episode, die dann folgt, das Leben Dawsons, Joeys und aller anderen Hauptfiguren aber dennoch grundlegend und unwiderruflich ändert.
Die im besten Wortsinn Verantwortlichen haben hier über etwas nachgedacht, über das vor lauter Medienkritik von den meisten Medienkritikern viel zu wenig nachgedacht wird, gemessen an dem Ausmaß, in dem es die Fernsehgewohnheiten von Vielfernsehern beherrscht: die Seriendynamik als solche.
Einmal außen vor gelassen, ob die sich im Moment, da wir dies schreiben, nicht selbst schon wieder grundlegend und unwiderruflich verändert – Stichwort: allmähliche Gerinnung zu »Werken« via DVD-Ausgaben der beliebtesten Shows –, ist die Schwierigkeit beim Schreiben über diese Sachen die, daß man sie nur anfassen kann, soweit es begriffliche Handhaben ästhetischer Rede gibt. Das aber geht nur, soweit diese Shows, im Gegensatz zu Fahrplänen oder Wolken, Kunst sind, und umgekehrt: Sobald jemand behauptet, es gebe diese Maßstäbe, erklärt er den Gegenstand zu Kunst, ob er will oder nicht. Ob etwas Kunst ist, hängt von Art und Vielfalt seiner freien Parameter ab, das heißt, man kommt nicht um die Frage herum: Inwiefern ist Serienfernsehen, und besonders das amerikanische, das immer noch weltweit die ästhetischen Standards setzt (nicht unbedingt die ökonomischen, Brasilien produziert billiger, aber eben doch mit weniger Nachahmungs- und kritischem Erfolg) etwas? Wie autonom kann etwas überhaupt sein, das sich richten muß nach der Vertriebsstruktur sowohl der Networks wie der Kabel(Zweit-)Verwertung, nach der Verwundbarkeit durch Boykottmaßnahmen von (vor allem religiösen) Elternorganisationen gegen die Werbekundschaft in den Pausen, nach der Abhängigkeit vom System der Stars, nach gewerkschaftlich erreichten Verpflichtungen wie der, daß pro Serie ein fixer Prozentsatz von Fremdautoren beschäftigt werden muß?
Künstlerische Autonomie – um deren innere wie äußere Gesetzlichkeit es uns in diesem Kapitel hauptsächlich geht – entsteht entgegen weitverbreiteten Annahmen nicht grundsätzlich durch absolute Unabhängigkeit von Regeln schlechthin, sondern durch etwas Relationales: Interessant ist nicht, wie viele Regeln eine Künstlerin beherzigt oder bricht, sondern wie viele davon auf eigene Rechnung aufgestellt und umgeschmissen werden. Wenn also etwa der Markt sechzehn Regeln aufstellt, müssen die Künstler eben zwanzig weitere dazuerfinden, schon hat die Kunst sich behauptet – vorausgesetzt, die Regeln werden fruchtbar benutzt, das heißt: Die Künstler sind gut in dem, was sie tun. Nach dem Gesetz, daß im Fernsehen, anders als im Auteur-Kino, keine gute Episode jemals nach einem schlechten Drehbuch entstanden ist, bedingt dieses Gesetz vor allem ein Primat der Autorenarbeit vor allem anderen. Alles andere steht frei, und so sind zwei große Schulen entstanden: die formalistische und die inhaltsbeflissene. Die Serienmacher der formalistischen benehmen sich wie klassische Avantgarde – man denke an Lynch/Frosts »Twin Peaks«, aber auch an »24«, die technisch faszinierende, inhaltlich aber recht hausbackene Thrillerserie mit Kiefer Sutherland (da geht es eigentlich nicht um die Geschichte – erste Staffel: Tochter eines Terroristenjägers wird entführt, um ihn zu erpressen, bei der Ermordung eines schwarzen Präsidentschaftskandidaten mit guten Erfolgsaussichten mitzuspielen, inklusive allerlei Doppelbödiges, weitere Staffeln: more of the same –, sondern ums Format: Jede Folge behandelt eine Stunde Echtzeit, es gibt 24 Folgen, das Ganze ist ein Tag. Strafferes Serienfernsehen gab es noch nie, und die daraus entstehenden Kontinuitäts-Herausforderungen ans Raum- und Zeitmanagement garantieren jede Menge interessanter Montagen,
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