Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
Vom Netzwerk:
ihren Tausch- und Implikationsbeziehungen zu zeigen, war deshalb der Argumentationsgang dieses Buches.
II.
Selbstexplikation des Historischen: Fortschritt ohne Ideal
    Ohne Wissenschaft, Technik, Geschichte, Künste, Politik, Philosophie ist der Fortschritt nicht einmal als Irrtum möglich; seine Denkbarkeit begann genau in dem Moment, da die Wechselwirkungen dieser menschlichen Tätigkeitsfehler selbst denkbar wurden. Diese Wechselwirkungen selbst unter ein einzelnes der Tätigkeitsfelder, die da wirken, subsumieren zu wollen, kürzt unrechtmäßig Unendlichkeiten aus den Gleichungen, um die es gehen müßte: Wer »Geschichte« sagt und damit etwas meint wie die Behauptung, die Schicksale der Revolutionen seit Veröffentlichung des Manifests der Kommunistischen Partei hätten sich gar nicht anders erfüllen können, als das geschehen ist, und daran sei eine falsche oder richtige Lektüre dieses Manifests schuld, eine Perversion des Marxismus oder die Perversion Marxismus, geht so gewaltsam vor wie die optimistischsten Deterministinnen unter denjenigen, die an besagten Text glaubten, ohne ihn wirklich gelesen zu haben.
     
    Es hätte anders kommen können, aber nicht ganz anders: Der Grat ist schmal, mal sieht man die verschwundenen Vorfahren, mal sieht man sie nicht, und daß es sie nie gab, ist ebenso richtig, wie daß sie als Artefakte der Konstruktion des Gewesenen aus dem Gegebenen so zwangsläufig auftauchen wie das, was die Ahnenforschung unter dem Namen »Implex« kennt: Wer lange genug nach Vorfahren sucht, findet plötzlich in irgendeiner Linie welche wieder, die schon im Stammbaum stehen, am Ende hat man weniger tatsächliche Ahnen, als rechnerisch möglich wären – natürlich hängt an diesem kleinen Wort, »möglich«, die ganze mathematisch-genealogische Pointe, wir behandeln es in diesem Buch sozusagen nicht als Adjektiv, sondern als verhältnissetzendes, verhältnisbestimmendes, verhältnisunterscheidendes und verhältnisvergleichendes Adverb, wo immer »Verhältnisse« etwas von Probehandeln und Handeln (in beiderseits wiederum zwiefacher Gestalt, als Hexis und Praxis) Gesetztes sind. Daß »eine andere Welt möglich« ist, pfeifen die aufgeweckteren unter den Spatzen inzwischen ja von den Dächern; der eine kleine Schritt über diese Einsicht hinaus, den wir riskiert haben und aus dem alles weitere sich ergab, ist, daß dann, wenn dies stimmt (und wir sehen keinen vernünftigen Grund, es anzuzweifeln, da es ja nichts weiter anerkennt als die Realität der Veränderung, des »Stirb und werde«, die ansonsten ja selbst von den Neopyrrhonikern eingeräumt wird), sich jener Satz auch auf die Geschichte anwenden läßt: Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie war es auch immer, zum Gewesenen gehört das, was möglich war, aber nicht wurde, und daraus ergibt sich die Denkbarkeit des Fortschritts endlich anders, nämlich objektivierbar unabhängig von spezifischen, konkret zweckhaft bestimmten Idealen oder Utopien – das neunzehnte Jahrhundert, von den unmittelbaren Erben der deutschen Klassik über die Sozialistinnen bis zu den Technizistinnen dachte noch, man bräuchte einen aus der Immanenz, in welche ihn Hegel holen wollte, in die Entrücktheit zurückgestoßenen Weltgeist, der einem aus dem Unerreichbaren her sagt, wohin die Reise geht, ohne daß man da jemals ankommen darf – Peter Hacks hat diesen, wenn die paradoxale Benennung erlaubt ist, »traditionellen Fortschrittsgedanken«, von dem unseren eigenen nur ein winziger Schritt trennt, im Interview mit Gottfried Fischborn einmal umfassend ausformuliert:
    »Das Ideal ist eine Sache, die niemals zu machen ist und als solche für das seiende Leben ganz unentbehrlich, weil nämlich in dem Moment, wo man keine Richtung für einen Weg hat, jedes Gehen nicht mehr stattfindet. Es gibt ja dann auch keinen Weg mehr, wenn der Weg kein vorgestelltes Ende hat. Aber von diesem vorgestellten Ende muß man wissen, es ist etwas, das man nicht erreichen wird. Eigentlich ist es wie die absolute Wahrheit bei Lenin. Eine Sache, von der wir erstens wissen, wir werden sie nie erreichen, aber zweitens im Erkenntnisprozeß werden wir uns ihr annähern. Also ist der Erkenntnisprozeß nicht ein beliebiges In-der-Welt-Herumtasten, sondern ein Fortschritt, also der ganze Fortschrittsbegriff fällt ja mit dem Begriff des Ideals.« 273
    Der winzige Schritt, der uns davon trennt, ist, daß wir nicht glauben, daß der Umgang mit dem gegebenen Tausendfüßlersegment jemals

Weitere Kostenlose Bücher