Der Implex
zentrales Stück britischer Proto-Science-fiction, dessen befruchtende Wirkung über die »Scientific Romance« bis in die – wie Behns Stück – von der Commedia dell’arte beeinflußten Jerry Cornelius -Erzählungen reicht, in denen während der sechziger und siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts Michael Moorcock, den wir im vorherigen Kapitel als einen der wenigen männlichen Parteigänger von Andrea Dworkin kennengelernt haben, die von Godard über Harlan Ellison bis heute nachwirkend fruchtbare »New Wave« der Pop-Phantastik kodifizierte. Behns Harlekinade sucht unter anderem auch spielerisch die Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften – »Galileus und Kepler« treten auf (die Dichterin hat Fontenelles Entretiens sur la pluralité des mondes ins Englische übersetzt und eigene kopernikanische Spekulationen verfaßt). Ein Jahr später erschien Oroonoko , ein weiteres Jahr darauf, 1689, starb Aphra Behn. Die Geschichte ihres Lebens wurde, verfaßt von »einer Angehörigen des schönen Geschlechts« – vermutlich ihr selbst – erst 1698 im Vorwort eines Bandes mit ihren Erzählungen weiteren Leserkreisen bekannt und ist seither so vielen verschiedenen Deutungen zugeführt worden wie ihr Werk, darunter nicht wenigen sentimentalen, die nichts an ihr und ihrer Arbeit erkennen wollen als nur das philanthropische. Als bloßen Anti-Sklaventraktat in narrativer Form aber möchten wir Oroonoko gerade nicht verstanden wissen (was übrigens die neuere akademische Literaturwissenschaft ganz ähnlich sieht), sie selbst war schließlich auch mit einem Menschen verheiratet, der mutmaßlich vom Sklavenhandel profitiert hat. Der Witz an Oroonoko ist das besondere Spiel, das sie hier mit dem Naturrecht treibt, verdichtet in der Gestalt des wilden, aber herausragenden Individuums: Sie entwendet es den Bürgern und zeigt, wie seine Verallgemeinerung etwa über die von jenen Bürgern respektierte, ja vielfach (man denke noch an Kant und Hume) verstärkte Rassengrenze hinaus aussehen könnte. Politisch, wir wiederholen das, war sie keine citoyenne, stand sie gegen die Bürger, deren Herrschaft ihr als Sinn der Geschichte und Höhepunkt der Freiheit sowenig einleuchten wollte wie Shakespeare, Goethe oder Voltaire, die sämtlich Absolutisten, welche die Vorrechte des Adels sowenig schätzen wie die Macht der Kapitalbesitzer (den Hinweis auf diese Reihe samt Erklärung ihrer Binnenlogik findet man in ausgearbeiteter Form in den Maßgaben der Kunst ihres Dichterkollegen und späten politischen Nachfahren, des sozialistischen Absolutisten Peter Hacks). Sie alle postulieren den König als Autorität, der einfach Platzhalter ist für »Staatshumanismus« (Hacks), als verkörperte volonté générale im bewußt gesetzten Gegensatz zur vulgärdemokratischen, von den Partikularinteressen des je und je »schlechten Besonderen« fragmentierten volonté de tous. Die Programmatik, die sich aus der in Oroonoko verschlüsselten Utopie von Freiheit und Würde herauslesen läßt, ist also tatsächlich antirassistisch und antisexistisch, aber eben nicht gleichmacherisch und an der gleichmachenden Verflüssigung der gesellschaftlichen Verhältnisse durchs Geld demonstrativ desinteressiert, ja sogar leicht angewidert davon – wenn alles so liefe, wie Behn das wünschen läßt, lautet der Zustand: Alle sind König, wenn sie sich in die Vernunft schicken, alle halten ihr Wort, Locke und Rousseau geben einander die Hand, Hobbes wacht über beide, daß gilt: pacta sunt servanda, und summarisch kollektive Geschlechter- wie Rassenungleichheiten sind in einer von der Staatsmacht garantierten Meritokratie abgeschafft.
IX.
Sieg und Niederlage der Emanzipation: Solidarität als strategischer Implex
An Ideen wie der »von der Staatsmacht garantierten Meritokratie« und ähnlichen Konzepten, vom Sozialstaat bis zur Verstaatlichung wichtiger Produktionszweige, haben Linke seit dem Zusammenbruch der Staaten des Warschauer Vertrags in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts und dem diesem als eine Art Vorbeben im Rahmen einer allgemeinen Krise des sozialistischen Paradigmas vorangegangenen Aufkommen der »Neuen Sozialen Bewegungen« in den Siebzigern und Achtzigern (Ökologie, Frieden, Minderheitenbewegungen, Identity) breite und fundamentale Kritik geübt; die »multikulturelle Gesellschaft«, die in den reichen Ländern dann von ebenfalls staatlichen Garantien wie der doppelten Staatsbürgerschaft, geplanten Migrationsverwaltung et
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