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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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schon? Carlos Alberto hatte sich als Verräter entpuppt; Delfina war womöglich mit einem Taugenichts durchgebrannt; und ihre Brüder, Sidónio und Álvaro, waren ihm nie so ans Herz gewachsen wie das Mädchen. Immerhin, besser als gar keiner. Er würde die beiden morgen als Erstes aufsuchen und sich vor allem nach Delfinas Wohlergehen erkundigen.
    Da niemand kam, um sein Geschirr abzuräumen, begab sich Miguel selber in die Küche, mehrere benutzte Teller vor sich her balancierend. Er hatte keineswegs vorgehabt, irgendjemanden zu beschämen oder seiner Dienerschaft deren Unfähigkeit vor Augen zu halten, doch das war genau das, was passierte.
    »… dann stand ich der Bestie gegenüber und zückte meinen …«, hörte er Crisóstomo gerade prahlen, als die Leute auf ihn aufmerksam wurden. Sofort entstand ein nervöses Durcheinander, weil jeder abrupt aufstand und wenigstens so tun wollte, als sei er mit irgendetwas Sinnvollem beschäftigt gewesen.
    »Bleibt ruhig sitzen. Ich bin nur gekommen, um Crisóstomo zu sagen, dass er sich eine Woche frei nehmen darf – um sich von den Begegnungen mit diversen Bestien zu erholen.« In dem anschließenden Gelächter der Leute lag große Erleichterung, dennoch wagte es keiner, sich wieder hinzusetzen. Ein Junge, der mutiger war als die anderen, fragte schließlich: »Soll ich mit Euch kommen, Senhor, und die Lampen in Eurem Schlafgemach entzünden?«
    »Das wäre zu freundlich von dir. Und noch einer soll mitkommen und ihm helfen, die Truhe in mein Zimmer zu schaffen.«
    Lange benötigte Miguel allerdings kein Licht mehr. Kaum hatte er sich entkleidet und ins Bett gelegt, hörte man sein Schnarchen schon im ganzen Haus.

[home]
24
    M akarand rieb sich die Hände. Herrlich, wie er diesen Dummkopf übers Ohr gehauen hatte! Für ein Miniaturkästchen aus Silber, das so fein gearbeitet war, hätte er normalerweise die Nebeneinkünfte eines halben Jahres opfern müssen – und dieser Kerl hatte es ihm für ein Viertel des üblichen Preises verkauft. Endlich hatte er ein Geschenk, mit dem er bei Anuprabha Eindruck schinden konnte. Das filigrane Silberkästchen würde ihr gefallen. Sie könnte ihre Nasenstecker darin aufbewahren oder vielleicht sogar … eine Locke seines Haars? Ach nein, das war vielleicht gar zu optimistisch. Jedenfalls würde Makarand in der Achtung seiner Flamme steigen, so viel war klar. Und dann würde er, wenn er in einigen Wochen seinen 16 . Geburtstag feierte, endlich offiziell bei Dona Amba um die Hand des Mädchens anhalten.
    Er hielt sich nicht weiter mit Bedenken darüber auf, wie der Bursche, der ihm das wertvolle Stück verkauft hatte, wohl daran gekommen war. Makarand war ziemlich sicher, dass es gestohlen war, und es war ihm herzlich egal. Wie sonst wäre der junge Mann, den er auf etwa zwanzig Jahre schätzte und den er vor ein paar Monaten noch mit eingezogenem Schwanz vor dem Geschäft des Senhor Pinho gesehen hatte, in den Besitz einer solchen Kostbarkeit gelangt? Da konnte der Bursche, der sich Krishna nannte, noch so oft erzählen, er habe es auf irgendeiner erfundenen Reise günstig erworben – Makarand war klug genug, um eine Lüge zu erkennen, wenn er es mit einer zu tun hatte.
    Wieder zu Hause, wickelte Makarand das winzige Kästchen aus dem groben Leinentuch und betrachtete es noch einmal in aller Ruhe. Ah, ein wunderhübsches Stück! Es nahm nicht einmal ein Viertel seines Handtellers ein, und doch besaß es alles, was auch eine große Schmuckschatulle hatte: zwei gut funktionierende Scharniere, eine perfekt gearbeitete Verschlusslasche, ein Futter aus Samt und vor allem ein berückend fein ziseliertes Blumenmuster.
    Makarand dachte kurz darüber nach, ob es nicht zu vermessen wäre, das Kästchen mit einem Inhalt zu versehen. Dann griff er nach seinem Rasiermesser, schnitt sich beherzt eine Strähne seines glatten Haars ab und drapierte sie so in dem Kästchen, dass sie wie eine Acht darin lag, wodurch sie auch aussah wie eine Locke. Er schloss den Deckel, wickelte das Kästchen in ein anderes, schöneres Stück Stoff und gab sich einen Ruck. Jetzt oder nie.
    »Anu?«, rief er leise, als er Anuprabha auf der Veranda sah, wo sie versonnen an den Blättern des Hibiskusstrauchs herumzupfte, dessen Zweige über die Brüstung reichten. »Anuprabha?«
    Das Mädchen verdrehte die Augen. »Lass mich in Ruhe.«
    »Aber ich möchte dir etwas zeigen.«
    »Ich will es nicht sehen.« Sie drehte sich um und ging ein paar Schritte in Richtung

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