Der indigoblaue Schleier
nicht so begeistert wie über Söhne, aber er kannte Ambas Meinung zu diesem Thema. »Das wäre wunderbar«, sagte er, »solange der Erstgeborene ein Junge ist.« Sehr zufrieden mit seiner diplomatischen Antwort strahlte er seine Herrin an.
»Du bist noch sehr jung für eine Ehe. Aber wie ich von Anand höre, stellst du dich als Lehrling nicht schlecht an.«
»Hm.« Makarand rollte mit dem Kopf. Was sollte er schon darauf erwidern? Er stellte sich nicht nur nicht schlecht an, sondern er schmiss dem alten Anand den Laden. Seit er in dessen Dienste getreten war, machte das Geschäft doppelt so viel Gewinn. Diesem Umstand hatte er es zu verdanken, dass er einen ganzen Tag pro Woche frei bekam – und diesen Tag dann zum Beispiel für Ausflüge in die Hauptstadt nutzen konnte, um Geschenke für Anuprabha zu kaufen.
»Vielleicht«, sagte Amba, »wartest du noch das Ende deiner Lehrzeit ab, um dann um Anuprabha zu werben.«
»Aber Ambadevi, das sind noch ein paar Jahre. Bis dahin bin ich alt, und Anu ist mit einem anderen auf und davon!«
»Mit zwanzig ist man nicht alt, Makarand.«
Erneut nahm der Junge sich in Acht. Selbstverständlich war man mit zwanzig alt, aber die Höflichkeit gebot es, dies nicht laut vor einer Dame auszusprechen, die die zwanzig weit überschritten hatte.
»Aber eigentlich wollte ich mit dir ja über dieses Kästchen sprechen. Erzähl: Wer hat es dir verkauft? War es jemand von hier?«
Makarand verstand nicht, warum seine Herrin so viel Aufhebens machte, doch er fügte sich und berichtete ihr wahrheitsgetreu, wie er in den Besitz des Stücks gelangt war.
»Ein junger Bursche, Krishna heißt er, hat es mir zum Kauf angeboten. Er behauptete, er sei mit seinem Herrn auf Reisen gewesen, und unterwegs hätten sie Handel mit solchen und ähnlichen Gegenständen getrieben. Er behauptete auch, er habe das Kästchen als Belohnung für seine treuen Dienste erhalten. Ich habe das nicht in Zweifel gezogen, Ambadevi. Der Kerl schien einfach nicht zu wissen, wie viel das Kästchen wert ist, denn er hat es mir zu einem äußerst günstigen Preis überlassen. Natürlich habe ich noch ein wenig gefeilscht, das ist ja normal, sonst macht es ja keinen Spaß, und Ihr wisst, dass ich darin gut bin. Wenn der Bursche es mir so preiswert verkauft, ist er es selber schuld, nicht wahr? Das ist doch kein Diebstahl? Ich habe es ganz ordnungsgemäß gekauft.«
»Schon gut, Makarand, ich wollte dir nie unterstellen, dass du es gestohlen hast. Ich will nur wissen, wie so ein Stück überhaupt nach Goa kommt. Dieser Bursche, für wen arbeitet er?«
»Ich weiß es nicht genau. Das heißt, ich kenne den Namen des Mannes nicht, aber ich habe ihn gesehen. Er ist Portugiese, obwohl er auch Inder sein könnte. Er hat glattes schwarzes Haar, und er hat für einen Europäer ziemlich dunkle Haut und ziemlich weiße Zähne. Die Weiber glotzen ihm nach, ich glaube, er gilt als gutaussehend, wobei ich persönlich ihn nicht so besonders schön finde.«
»Wie alt schätzt du ihn?«
»Hm, ich weiß nicht, alt. Also auf alle Fälle älter als zwanzig. Aber jünger als Rujul oder Anand.«
»Makarand, du musst dich klarer ausdrücken. Ist er vielleicht zwischen zwanzig und dreißig?«
»Ja, das kommt hin, schätze ich.«
»Ist er dick oder dünn? Groß oder klein?«
»Irgendwie … mittel.«
»Aha.« Amba dachte nach. Es gab zahlreiche junge portugiesische Glücksritter, die allein in die Kolonie kamen. Darunter gab es sicher auch viele attraktive Männer. Und sie, die so selten in die Stadt fuhr, hatte nur sehr wenige von ihnen je zu Gesicht bekommen. Dennoch fiel ihr sofort Miguel Ribeiro Cruz ein. Sie hatte geglaubt, er sei längst wieder abgereist, da sie ihn nie wieder gesehen hatte. Aber wenn er das Mogulreich bereist hatte, um Handel zu treiben, dann war seine Abwesenheit erklärlich.
Und wenn er nun Handel mit etwas anderem als Waren trieb? Mit Informationen? Er war ja offenbar im Norden gewesen, in ihrer alten Heimatstadt, denn nur dort wurden ihres Wissens diese Silberkästchen gefertigt und so günstig verkauft, dass man sie auch einem Dienstboten zum Geschenk machen konnte. Was, wenn er dort etwas über sie gehört hatte? Unsinn, schalt sie sich, die Wahrscheinlichkeit war verschwindend gering. Ihre Angst vor Verfolgung nahm allmählich krankhafte Züge an. Wie sollte man sich das vorstellen? Ein junger Portugiese bereiste Indien, kam zufällig in ihre Geburtsstadt, hörte dort zufällig etwas über den Verbleib
Weitere Kostenlose Bücher