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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Und in die Freiheit entlassen, die sie so oft herbeigesehnt hatte, würde eine so junge unverheiratete Mutter nicht lange überleben können.
    Ein Trupp schneidiger Soldaten in prachtvollen Uniformen paradierte gerade vorbei, als sich von hinten eine Hand an Bhavanis Hals legte, die goldenen Ketten umschloss und fest daran zog. Bhavani stieß einen spitzen Schrei aus, sprang von ihrem Hocker auf und rannte, ohne groß nachzudenken, der Gestalt nach. »Haltet den Dieb!«, rief sie, doch in dem Gewimmel und Lärm des Umzugs schenkte ihr niemand Beachtung. Die anderen Frauen, die mit ihr hinter dem Paravent gesessen hatten, waren viel zu erschrocken, um schnell reagieren zu können. Als sie endlich aus ihrer Starre erwachten, war es zu spät. Von Bhavani war nichts mehr zu sehen.
    »Bei allen Inkarnationen Shivas – so tu doch etwas!«, fuhr Sita ihren Mann an, der sich schwerfällig in Bewegung setzte und einen Wachposten über den Vorfall informierte. Mittlerweile war auch Vijay aufgesprungen. Er hatte seinen Festtagssäbel gezogen, den er nun vor seinem grotesken runden Körper schwang. »Los, kommt, wir müssen den Dieb fassen!«, forderte er seine Cousins auf, doch der älteste von ihnen beschied ihn mit einer Antwort, die den anderen aus der Seele sprach: »Sollen wir die schönste Parade seit Jahren verpassen, nur um einem Dieb nachzulaufen, der wahrscheinlich schon über alle Berge ist?«
    »Aber … aber er hat Tante Sitas kostbare Ketten gestohlen!«, ereiferte sich Vijay.
    Der mittlere Cousin lächelte Vijay müde an, sagte jedoch nichts. Alle außer Vijay wussten, dass Sita ihrer Nichte die wertlosesten ihrer Schmuckstücke überlassen hatte, damit Letztere der Familie nicht durch ärmliches Auftreten noch mehr Schande machte. Sicher, es waren Ketten aus Gold, doch sie waren schlicht gearbeitet und es ganz sicher nicht wert, dass man sich deswegen um das Vergnügen brachte, dem Fest beizuwohnen.
    Vijay tat, was seine Ehre ihm gebot: Er machte sich allein auf die Suche nach seiner Schwester. Doch als er, schwer keuchend und vollkommen verschwitzt, die Brücke erreichte, die er für den einzig denkbaren Fluchtweg des Diebs hielt, sah er eine kleine Menschentraube, die sich um einen Wachposten geschart hatte. Mit seinem Säbel verschaffte er sich Durchgang.
    »Was ist hier los? Ist eine vornehme junge Dame hier vorbeigelaufen?«
    Der Wachmann sah Vijay mitleidig an. »War sie eine Verwandte von Euch?«
    »Was heißt hier ›war‹? Sie ist meine Schwester. Sie hat ein etwas, ähm, impulsives Wesen, sonst wäre sie dem Dieb wegen des Tands sicher nicht nachgelaufen, aber …«
    »Der Dieb hat sie aufhalten wollen. Er hat ihr einen so kräftigen Schlag verpasst, dass die junge Dame in den Fluss gefallen ist. Ich bedauere sehr, dass Eure …«
    Doch Vijay hörte ihm schon nicht mehr zu. Er ließ den Blick über den Fluss schweifen, in dem er einen gebauschten roséfarbenen Schleier forttreiben sah. Er war schon viel zu weit entfernt, als dass man noch eine Rettung versuchen konnte.
    Vijay stützte sich schwerfällig auf die Brüstung der Brücke und vergoss die ersten Tränen seit Jahren.
     
    Bhavani bekam kaum noch Luft. Sie war zu schnell gerannt, sie war die körperliche Anstrengung nicht mehr gewohnt. Doch ein Blick auf die alte Nayana, die unverdrossen weiterlief, ließ sie durchhalten. Was ihre
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konnte, konnte sie schon lange. Erst als die beiden Frauen eine bestimmte Hütte auf der anderen Seite des Flusses erreicht hatten, drosselten sie ihre Geschwindigkeit. Sie schauten sich nach etwaigen Verfolgern um, doch niemand war zu sehen. Die Straße wirkte fast wie ausgestorben, denn die meisten Leute waren zu der Parade gegangen. Sie huschten in die Hütte. Erst als sich die Tür hinter ihnen schloss, erlaubten sie es sich, einander zuzulächeln.
    »Schnell, zieh das hier über«, forderte Nayana ihren Schützling auf, indem sie ihr ein schmuckloses Baumwollgewand reichte. »Und dann gib mir deine feinen Pantoffeln und streif dir diese Sandalen über.«
    Bhavani befolgte die Anweisungen Nayanas klaglos, obwohl es sie beim Anblick der abgetragenen Sandalen ekelte.
    »Jetzt gib mir all deinen Schmuck, vom Zehenring bis zum Nasenstecker, alles. Den können wir noch gut gebrauchen, aber vorerst sollst du aussehen wie eine Bettlerin.«
    Bhavani tat, wie ihr geheißen.
    »Und nun«, kündigte Nayana mit einem hinterhältigen Grinsen an, »Asche auf dein Haupt.« Sie verteilte Staub und Asche in Bhavanis

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