Der indigoblaue Schleier
Wenn der Indigo-Ertrag weiter sinkt, weil ihr Weiber eure Kräfte aufs Tratschen verwendet statt aufs Schlagen der Lauge, dann werde ich selber meine Stellung verlieren.«
»Aber ich tratsche doch gar nicht! Warum bestraft Ihr nicht die, die es wirklich tun, diese missgünstigen Klatschweiber mit ihren Warzen und Hängebrüsten!« Uma hielt entsetzt inne. Wie konnte sie nur?
Doch der Aufseher schmunzelte und ließ einen wollüstigen Blick über Umas Gestalt gleiten. »Es gäbe da eine Lösung …«
»Niemals!«, rief Uma und lief davon, ohne sich ihren noch ausstehenden Lohn auszahlen zu lassen. Das höhnische Gelächter des Mannes klang noch in ihren Ohren nach, als sie längst ihr baufälliges Haus erreicht hatte und sich daranmachte, ihr Bündel zu schnüren.
Es ging immer weiter bergab mit ihnen. Es war Uma und Roshni nicht gelungen, vor dem Eintreffen des Monsuns eine vernünftige Bleibe zu finden, und nun hausten sie in einem primitiven Zelt aus Blattwerk in den Wäldern Maharashtras. Das Einzige, an dem sie keinen Mangel litten, war Wasser. Es war überall. Sie schliefen auf durchnässten Matten, sie trugen klamme Lumpen, und der Lehm an ihren Füßen wurde nie trocken genug, dass er abgebröckelt wäre. Sie lebten von Kokosnüssen, die die Gewitterstürme von den Palmen rüttelten, und von kleinen Tieren, die in ihre Fallgruben tappten. Sie aßen das Fleisch roh, denn ein Feuer ließ sich in der allgegenwärtigen Feuchtigkeit nicht entzünden. Sie schreckten nicht einmal davor zurück, Schlangen- und Affenfleisch zu essen. Uma schwor sich, dass sie, sollte ihr Schicksal je eine bessere Wendung nehmen, nie wieder Fleisch anrühren würde. Doch bis dahin blieb ihnen nicht viel anderes übrig, als mit ihrer dürftigen Beute ihr Überleben zu sichern. Der Wille, dies alles heil zu überstehen, war stärker als jeder Ekel. Bemerkenswert fand Uma, dass diese Kost ihnen gut zu bekommen schien: Ihre Zähne wackelten nicht länger, und Roshnis Haarausfall hörte auf. Mehr machte ihnen die Nässe zu schaffen. Roshni hustete in manchen Nächten so rasselnd, dass auch Uma davon aufwachte, während Uma in den Kniekehlen, den Armbeugen und Achselhöhlen von einem rätselhaften Ausschlag befallen wurde.
Keine der beiden Frauen hatte je in der freien Natur gelebt, keine war bewandert in der Kunst der Anwendung von Heilkräutern, die sie im Wald bestimmt gefunden hätten. Doch auf Experimente wollten sie sich nicht einlassen; es gab, wie sie aus eigener schmerzhafter Erfahrung wussten, allzu viele giftige Pflanzen, deren Blätter Rötungen und Juckreiz hervorrufen konnten. Auch die Mückenschwärme waren eine üble Plage, deren sie sich nur dadurch erwehren konnten, dass sie sich möglichst vollständig bedeckten. Immerhin hatte bisher keine der beiden Frauen das Fieber ereilt.
Die Schwermut dagegen wohl. Roshni versuchte Umas Gedanken auf eine schönere Zukunft zu lenken, und sie vertrieb ihnen beiden an den endlosen Regentagen, da sie nur stumpf unter ihrem Dächlein saßen und dem Wasser lauschten, die Zeit mit Märchen und Kindergeschichten. Ihr Repertoire daran schien unerschöpflich. Aber ja, erinnerte Uma sich, ihre liebe alte Roshni war in einem früheren Leben schließlich eine erfahrene Kinderfrau gewesen. Ach, wie lange schien dies zurückzuliegen! War sie selber wirklich jemals ein verwöhntes Mädchen gewesen, das man in Seide gekleidet und mit Rosenblütenbädern verwöhnt hatte? Es kam ihr so unglaubhaft vor, dass sie ein bitteres Lachen ausstieß und einen vorbeikriechenden Regenwurm mit bloßem Fuß zerquetschte.
Als die Regengüsse schwächer wurden und sich wieder öfter ein Sonnenstrahl in ihr armseliges Lager verirrte, hob sich die Stimmung von Uma und Roshni. Doch mit der Trockenzeit hielten auch Menschen Einzug in den Wald: Wilderer, die den Hirschen und Antilopen nachsetzten; halbwüchsige Burschen, die auf die Kokospalmen kletterten und die Nüsse ernteten; verwahrloste Frauen, die nach essbaren Beeren, Früchten und Wurzeln suchten. Es wurde gefährlich, noch länger im Wald zu leben, denn die Eindringlinge wurden mit aller Härte von den Hütern des Maharadschas verfolgt.
»Wir müssen hier fort«, beschloss Uma eines Tages, nachdem sie beinahe von einem Hüter erwischt worden wären. »Und es ist mir ganz egal, was du davon hältst – wir verkaufen den Diamanten. Selbst wenn wir nur einen Bruchteil dessen erzielen, was er wert ist, wird er uns eine Weile über Wasser halten. Du musst
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