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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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anschrie, dann passierte alles auf einmal: Der Karren machte einen Satz, ein entgegenkommender Wagen rollte in unglaublicher Geschwindigkeit vorbei, und inmitten der Staubwolke, die der Rüpel zurückließ, überschlug sich ihr Karren und krachte die Böschung hinab.
    Als der Staub sich gelegt hatte, sah Uma den Bauern auf sich zukommen. »Ist alles in Ordnung? Bist du verletzt?«
    »Nein, ich glaube, mir fehlt nichts.« Mühsam rappelte sie sich auf. »Aber was ist mit meiner Schwiegermutter?«
    »Mir geht es gut«, hörten sie Roshni krächzen. »Ich habe mir nur … au!« Der Bauer und Uma eilten zu ihr. Roshnis Bein war unter einem Wagenrad eingeklemmt, ihr Gesicht war vor Schmerz verzerrt. Unter Aufbringung all ihrer Kräfte gelang es Uma und dem Bauern, den Karren so weit anzuheben, dass Roshni sich darunter hervorrollen konnte, doch sie litt, das war kaum zu überhören und zu übersehen, Höllenqualen dabei. Ihr Bein war grotesk verdreht.
    »Wir müssen sie zu einem Arzt bringen, schnell!«, rief Uma, doch der Bauer sah sie nur verständnislos an. Zu einem Arzt? Wer und wo in aller Welt glaubte die junge Frau zu sein? Ein Heilkundiger wurde bei hochgestellten Persönlichkeiten herbeigerufen, bei einfachen Leuten behalf man sich mit den althergebrachten Methoden. Und ein gebrochenes Bein wurde geradegebogen und geschient. Danach half nur noch gutes Karma. Außerdem befanden sie sich in der Mitte von Nirgendwo – ohne fahrtüchtigen Karren, denn der war bei dem Sturz so schwer beschädigt worden, dass sie heute damit nicht mehr fahren konnten.
    Der Bauer beachtete das Gezeter der jungen Frau nicht weiter. Er kniete sich vor die Alte, griff beherzt nach ihrem Schienbein und bog es wieder zurecht. Roshni fiel in Ohnmacht. Gut so, befand der Bauer. »Geh und such mir einen möglichst geraden Stock«, befahl er Uma. Als sie wenig später zurückkam und ihm ein Brett reichte, das sie mit bloßen Händen vom Karren abgerissen hatte, schenkte er ihr ein zahnloses Grinsen. »Und jetzt ein Stück Stoff.«
    Uma riss eine Bahn Tuch von Roshnis Rock ab, der ihre Beine ohnehin nicht mehr bedeckte. Wenn der feiste Bauer gehofft hatte, sie selber würde sich vor ihm eine Blöße geben, so hatte er sich getäuscht. Doch so derb der Mann auch war – er war eine große Hilfe. Man sah, dass er diese Art von medizinischer Versorgung nicht zum ersten Mal leistete. Der Bauer nahm Umas Blick wahr und antwortete auf die unausgesprochene Frage: »Meinem Sohn habe ich einmal den Arm geschient. Und einer Kuh ein Bein. Bei beiden ist es gut verheilt.«
    Nachdem sie die noch immer bewusstlose Roshni auf eine Matte gebettet und zugedeckt hatten, bedankte Uma sich bei dem Mann und machte sich selber bereit zum Schlafengehen. Doch kaum streckte sie ihre schmerzenden Glieder aus, durchfuhr sie plötzlich ein stechender Schmerz. Ihr Unterleib fühlte sich an, als stünde er in Flammen. Sie krümmte sich und unterdrückte ein Stöhnen. Doch die Krämpfe wurden immer schlimmer, und ihr entfuhr ein leises Wimmern, das schließlich auch bis zu dem schlafenden Bauern durchdrang.
    »Was ist denn nun schon wieder?«, grummelte er.
    Er trat an Umas Schlafstatt heran, und es bedurfte keiner Worte, um zu erkennen, was geschehen war: Umas Rock sowie ihre Matte waren blutdurchtränkt.
    »Womit habe ich das verdient?«, klagte der Mann. »Meine liebe Gemahlin hatte auch schon vier Fehlgeburten, doch da standen ihr andere Frauen bei. Diesmal weiß ich nicht, was zu tun ist – ich fürchte, das musst du alleine durchstehen.« Mit betretener Miene wandte er sich ab. Obwohl sich die Vorgänge des menschlichen Körpers nicht allzu sehr von denen seiner Ziegen unterschieden, war es ihm überaus peinlich, von so intimen Dingen fremder Frauen überhaupt nur Kenntnis zu haben. Eilig ging er davon, denn in der Nähe lag ein Bach. Das war das Mindeste, was er für das arme Mädchen tun konnte: ihr wenigstens etwas frisches Wasser bringen.
     
    Am nächsten Morgen war der Bauer mit seinen Ochsen verschwunden – und mit ihnen hatte auch das Glück die beiden Frauen verlassen. Wenn Uma geglaubt hatte, sie wären arm gewesen, so zeigten ihr erst die kommenden Monate, was echtes Elend bedeutete. Sie selber war schnell genesen und im Grunde erleichtert, dass sie das ungeliebte Kind nicht austragen musste. Doch Roshnis Bein heilte nur sehr langsam, und die alte Amme fiel als Arbeitskraft aus. Uma schuftete noch härter als bisher, und sie nahm jede Arbeit an, so

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