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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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von deinem Husten genesen, ich von diesem grässlichen Ausschlag. Wir beide müssen wieder wie Menschen leben, nicht wie Tiere.«
    Roshni, geschwächt von ihrer Krankheit und ebenfalls seelisch zermürbt von ihrer Misere, obwohl sie dies nie vor Uma zugegeben hätte, gab ein halbherziges Zeichen ihres Einverständnisses. Viel schlimmer als jetzt würde es wohl kaum noch werden können. Und vielleicht war ihnen ja doch einmal das Glück hold. Wenn sie den Stein verkaufen konnten, ohne sofort in den Kerker geworfen zu werden, stünde ihnen eine angenehme Zeit bevor. Sie würden wieder auf trockenen Lagern schlafen, vernünftige Mahlzeiten zu sich nehmen und anständige Kleidung tragen können. Sie würden sich mit schönen Dingen beschäftigen, mit dem Bemalen ihrer Hände mit Henna zum Beispiel, und nicht länger nur darüber nachdenken müssen, wie sie satt wurden. Uma würde aufblühen, und dank ihrer Schönheit würde sich ein Bräutigam für sie finden, ein warmherziger, kluger, wohlhabender und hübscher junger Mann. Die beiden würden Kinder bekommen, die sie, Roshni, verwöhnen würde, als seien es ihre eigenen Enkel. Man würde sie wie eine ehrwürdige Matriarchin behandeln, ihr voller Respekt begegnen und …
    In diesem Moment knackste es laut in unmittelbarer Nähe. Roshni gelang es gerade noch, sich hinter einem Baumstamm zu verstecken, als auch schon ein zähes Männlein mit ledriger Haut vor ihrem Unterschlupf stand. Mit seinem Stock schlug er auf ihr primitives Lager ein, als handle es sich dabei um ein Schlangennest, und rief Worte, die Roshni nicht verstand. Uma war nirgends zu sehen. Roshni betete, dass ihr Schützling den Mann rechtzeitig bemerken würde, der nun Gesellschaft von zwei weiteren Männern bekam, die ihm zum Verwechseln ähnlich sahen. Wilderer? Entlaufene Sträflinge? Aber nein, da kamen ja noch mehr Menschen, eine ganze Traube, um genau zu sein. Und hinter ihnen – Roshni kniff die Augen zusammen, um sicher sein zu können, dass sie sich nicht täuschte – kamen Elefanten. Prächtige Tiere, die opulent bemalt und geschmückt waren und auf denen prunkvolle
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schaukelten. Die Elefanten waren nun so nahe gekommen, dass Roshni die
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dabei beobachten konnte, wie sie auf eine bestimmte Weise ihre Füße hinter die Ohren der Tiere klemmten oder darauftraten, so dass die Elefanten die Kommandos sofort befolgten. Es war überaus faszinierend, fast noch beeindruckender als die Gesellschaft, die auf und hinter den prachtvollen Geschöpfen des Wegs kam.
    Eine Jagdgesellschaft, dachte Uma, als sie von dem Gestrüpp zurückkehrte, in dem sie ihre Notdurft verrichtet hatte. Und zwar eine Jagdgesellschaft von allerhöchster Bedeutung, wenn sie die Anzahl der Treiber und der Elefanten richtig interpretierte. Wahrscheinlich war der Maharadscha höchstselbst in »ihrem« Wald unterwegs, und bei dem riesigen Gefolge, das er dabeihatte, konnte es sich nur um eine Tigerjagd handeln. Sie hatten Tiger hier im Wald?! Umas Knie schlotterten angesichts der Gefahr, der sie die ganze Zeit ausgesetzt gewesen waren. Doch nachdem der erste Schreck abgeklungen war, kehrte ihre Vernunft zurück. Ein Tiger also. Genau wie sie selber dürfte er sich von den Tieren des Waldes ernährt haben, und offensichtlich hatte er die Menschen gemieden. Wie recht er hatte. Wenn ihn der Hunger nicht dazu zwang, würde er sich nicht in die Nähe von Menschen wagen, die sein einziger natürlicher Feind waren. Sie verspürte ein diffuses Mitleid mit dem Tier, das ihr noch vor wenigen Minuten so viel Angst eingejagt hatte, dass ihr beinahe die Beine weggesackt wären. Sie wünschte sich, sie hätte irgendeine Möglichkeit gehabt, den Tiger zu warnen, doch gleichzeitig fürchtete sie die Begegnung mit dem wilden Tier mehr als die mit den Männern des Fürsten. Sie würde auf dem Ast eines Baumes Schutz suchen und abwarten, bis der ganze Spuk vorbei war. Wenn nur Roshni nichts geschah!
    Die Jagdgesellschaft zog vorüber, langsam und majestätisch und gerade weit genug von Umas Aussichtspunkt entfernt, dass man sie nicht entdecken würde, sie jedoch das Treiben beobachten konnte. Es war ein imposantes Spektakel, hundert-, nein, tausendmal schöner als die Parade, die ihre letzte Erinnerung an ein zivilisiertes Leben war. Doch was war das? Gaukelte ihr Gedächtnis ihr plötzlich Dinge vor, die sie unmöglich sehen konnte? Auf dem dritten Elefanten saß ein junger Mann, der genauso aussah wie Vijay!
    Uma rieb sich die Augen.

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