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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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denn nicht Abenteuer genug, in Goa zu leben? Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Dich und die Beschwernisse Deines Lebens fernab der Heimat denke. Du bist ja ganz allein auf Dich gestellt, und oft quäle ich mich mit Vorwürfen, dass wir Dich haben ziehen lassen.
    Wenn Du eine Frau und Familie hättest, wäre mir das ein großer Trost. Ein junger Mann gerät allzu schnell auf Abwege, wenn nicht eine Frau ein wachsames Auge auf ihn hat und ihm das Leben so komfortabel wie möglich einrichtet. Da ich bezweifle, dass es in der Kolonie geeignete Kandidatinnen gibt, denn dieses bunte Treiben färbt gewiss auf den Charakter ab, habe ich mich hier nach einer passenden Dame umgesehen. Und ich bin fündig geworden.
    Sie heißt Isabel de Matos, ist
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 Jahre alt und ein bildhübsches Ding. Ihre Familie besitzt eine der größten Reedereien, wie Du Dir aufgrund ihres Namens sicher schon gedacht hast. Sie ist die jüngste von vier Töchtern (die armen Leute, nicht einen einzigen Sohn hat der liebe Herrgott ihnen gegönnt), die anderen drei sind alle schon sehr vorteilhaft verheiratet worden. Für unsere Familie wäre eine Verbindung mit den Matos überaus wünschenswert, so wie es umgekehrt für die Matos ein Glücksfall wäre, mit den Ribeiro Cruz Beziehungen zu pflegen, die über die rein geschäftlichen hinausgingen. Dass Dein Ruf nicht der allerbeste ist (ja, mein lieber Miguel, diese Dinge dauern ihre Zeit), scheint ihnen nicht so viel auszumachen, wobei das Vermögen, das Dein Vater auf Dich überschreiben lässt, sicher hilfreich ist … Nun, um es kurz zu machen: Wir haben, Dein Einverständnis vorausgesetzt, eine Verlobung angekündigt. Die bezaubernde Isabel wird dieser Tage ein Schiff ihres Herrn Vaters besteigen und, zusammen mit einigen Verwandten, nach Goa aufbrechen. Wenn Du sie siehst, wirst Du ihr nicht widerstehen können, und ich hege die Hoffnung, dass Du als ihr Verlobter bald nach Hause kommst. Ich freue mich schon auf eine grandiose Hochzeit!
    Ansonsten ist hier alles beim Alten. Dein Vater und Dein Bruder haben den Dieb, der unser Handelshaus bestiehlt, noch immer nicht gestellt. Auch die Holländer machen uns zu schaffen, aber Anlass zu großer Sorge besteht keine. Was soll man schon von einem Volk halten, das sich vom Papst abgewendet hat, dafür aber Tulpenzwiebeln anbetet? Ja, Du liest ganz richtig: Die Zwiebeln einer nichtssagenden Blume, die in den nördlichen Breiten sehr beliebt ist, erzielen bei Auktionen astronomische Preise. Neulich soll für eine einzige Zwiebel der Gegenwert eines Hauses bezahlt worden sein! Also, ich denke, dass diese Verrückten keine ernstzunehmende Gefahr für die Handelsmacht Portugals darstellen, genauso wenig wie die Engländer, die sich auf den Weltmeeren aufführen wie schlecht erzogene Kinder, die den anderen ein Spielzeug wegnehmen wollen. Ich sage Dir: Früher oder später werden sie alle unsere Dominanz zu spüren bekommen. Portugal wird der Mittelpunkt des Weltgeschehens bleiben, so sicher, wie auch die Erde das Zentrum des Universums ist. Wusstest Du, dass ein angeblicher Wissenschaftler namens Galileo Galilei widerrufen hat, dass es sich anders verhalten könne? Der Mann hat schließlich angesichts des gerechten Zorns Gottes, der auf ihn niederzufahren drohte, doch eingesehen, dass die irrsinnige Theorie, die Erde könne sich um die Sonne drehen (die natürlich von einem Holländer erdacht wurde, von wem sonst?), grundfalsch ist.
    Bartolomeus’ liebe Frau hat uns keine weiteren Enkel geschenkt, was uns sehr betrübt. Aber wir sind ganz zuversichtlich, dass die beiden noch viele Kinder haben werden – und Du, so Gott will, in nicht allzu ferner Zukunft ja auch schon Vater werden könntest.
    Ich schließe Dich in meine Gebete ein und bitte den heiligen António, den Schutzheiligen der Reisenden, um sicheres Geleit und gute Gesundheit für Dich. Dein Vater und Bruder schicken Dir herzliche Grüße!
    In Liebe und großer Sehnsucht
    Deine Mutter
    Miguel legte den Brief achtlos in die Pfütze, die sich rund um den Krug mit dem Ingwerwasser gebildet hatte. Er fühlte sich wie betäubt. Wie konnten sie ihm das nur antun? Sie konnten doch nicht irgendein armes Mädchen, das, aus welchen Gründen auch immer, keinen Ehemann gefunden hatte, nach Goa schicken und es glauben lassen, dort warte ein Verlobter. Das war ungeheuerlich! Genauso wenig konnten sie doch wohl glauben, dass er, der er ja in ihren Augen ohnehin immer das schwarze Schaf der Familie gewesen

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