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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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so direkt formulierten Frage eingehen? Selbstverständlich war Bhavani im Besitz eines Vermögens, es bedurfte keiner höheren Rechenkünste, um zu diesem Schluss zu gelangen. Wer auch nach fünf Jahren die Suche noch nicht aufgegeben und bereits so viel Geld investiert hatte, der tat dies schließlich nicht, um eine unfruchtbare, alternde und verarmte Witwe in den Schoß der Familie zurückzuholen.
    »Ich frage deshalb danach«, sagte der Portugiese, »weil dieses Vermögen eventuell Aufschluss über den Verbleib der Dame liefern könnte. Wenn es sich um einen kostbaren Edelstein oder dergleichen handelt, dürfte sie ihn zur Finanzierung ihrer Flucht verkauft haben. Dann könnte man ein paar Juweliere bestechen, um darüber mehr in Erfahrung zu bringen. Solche großen Transaktionen sprechen sich unter den Kaufleuten schnell herum.«
    Pradeep glotzte den Dolmetscher entgeistert an. Diesmal hatte er ganz sicher einen Fehler gemacht. Wer würde schon so offen und plump von Bestechung reden? Der Übersetzer sah, was hinter der Stirn des Pradeep-sahib vorging, und kam ihm zuvor: »Ich schwöre beim Leben meiner Kinder, dass der Barbar es so gesagt hat!«
    »Ja«, antwortete der ältere Bruder dem Portugiesen. »Sie hat einen Diamanten von der Größe eines Wachteleis, der unserer Familie gehört.«
    Alle vier Anwesenden hielten nach dieser Offenbarung die Luft an. Der Dolmetscher beschloss, die Höhe seiner Vergütung zu verdoppeln. Der Portugiese rechnete sich aus, dass er das Kopfgeld nicht brauchte, wenn er erst des Edelsteins habhaft geworden war. Pradeep verfluchte seinen Bruder für dessen dumme Aufrichtigkeit. Und Chandra beobachtete die Reaktionen der anderen drei, die er alle korrekt vorausgesehen hatte. Für das Kopfgeld würde der Portugiese keinen Finger krümmen, für einen Diamanten von unschätzbarem Wert dagegen sehr wohl. Er kannte die Habgier der Menschen, und er wusste, dass er den Mann geködert hatte. Wie man später mit ihm verfahren würde, das könnte man dann noch entscheiden. Er, Chandra, verfügte über viel mehr Raffinesse und Geduld, als sein tölpelhafter Bruder und dieser ungewaschene Ausländer ahnten. Vorerst benötigten sie die Hilfe des Mannes, sowohl hier als auch in Damão und Diu, den anderen Eroberungen der Portugiesen auf dem indischen Subkontinent. Und sollte Bhavani ins Ausland geflohen sein, brauchten sie den Mann erst recht: Noch war keine andere Nation auf den Weltmeeren und allen Kontinenten präsenter als die portugiesische, wenngleich die Holländer und die Engländer rasch aufholten. Aber auch um deren Hilfe würde er sich noch bemühen – immer mit dem großen Preis lockend. Ein riesiger Diamant brachte die Augen eines jeden zum Leuchten, gleich welcher Herkunft, welcher Religion, welcher Hautfarbe.
    »Interessant«, murmelte der Portugiese, »hochinteressant. Ich denke, ich werde Euch bei Eurer Suche unterstützen können. Lasst mir bis morgen Zeit, damit ich einen Plan schmieden kann.«
    Die Brüder rollten zustimmend mit den Köpfen. Chandra wusste, welche Form dieser Plan annehmen würde, hatte jedoch keine Angst. Der Portugiese würde ihnen nicht nach dem Leben trachten, bevor sie Bhavani eindeutig identifiziert hätten.
    »Erlaubt mir, Euch morgen zu einem späten Frühstück zu mir bitten zu dürfen, damit wir das weitere Vorgehen besprechen können.«
    »Wir fühlen uns sehr geehrt, Euer Hochwohlgeboren«, antwortete Pradeep und sah lächelnd erst den Portugiesen, dann seinen Bruder an. Beide waren sich stillschweigend einig, dass eine fade Mahlzeit und ein weiterer Schluck des giftigen Gebräus namens Kaffee ein geringer Preis dafür waren, dass sie den Mann auf ihrer Seite hatten.
    Sie verließen das Empfangszimmer mit den hässlichen Möbeln in einer euphorischen Stimmung. Diesmal nahmen sie keinen Anstoß an den merkwürdigen Sitten und der noch merkwürdigeren Kleidung der Leute auf der Straße. Einzig ihr Dolmetscher, der für seine Dienste plötzlich das Doppelte verlangte, trübte ihre Laune ein wenig. Sie entließen ihn unverzüglich und drohten ihm damit, ihn zu enthaupten, sollte er auch nur ein Sterbenswörtchen über das verlauten lassen, was er heute mit angehört hatte.
    Der Portugiese saß unterdessen an dem Besuchertisch und griff geistesabwesend nach dem Gebäck, das die Inder nicht angerührt hatten, diese Banausen. Er konnte sein Glück kaum fassen. Wenn er es geschickt anstellte, würde er seine Suche nach Ketzern mit der nach dieser

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