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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Aufgabe mit einer beinahe zärtlichen Hingabe. Dieser Mann, der in seinem ganzen Leben nicht aus Goa herausgekommen war, belegte Frachträume auf Fahrten, die um den ganzen Globus führten, mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als sei er sein Leben lang um die Welt gesegelt. Er wusste um die Schwierigkeiten, die Malakka-Straße zu befahren, genau wie er die Gegebenheiten im Hafen von Macao kannte oder das Fassungsvermögen der Lagerschuppen in Mosambik. Vielleicht, dachte Miguel, ersetzten ihm dieses Wissen und die ausgeklügelte Planung das echte Reisen. Und vielleicht sah er – in seiner Phantasie – viel mehr von fremden Ländern als all die rastlosen Reisenden.
    Miguel war ebenso fasziniert wie skeptisch. Furtado beherrschte sein Fach meisterhaft, kein Zweifel – er war sogar so geschickt und manipulativ, dass Miguel sich angesichts der verworrenen Strukturen des Unternehmens und der diversen Nebengeschäfte des Senhor Furtado fragte, wie ehrlich der Mann war. Andererseits konnte Miguel nicht glauben, dass ein so gewiefter Geschäftsmann es nötig haben sollte, seinen Arbeitgeber zu hintergehen. Furtado konnte in der Niederlassung in Goa schalten und walten, wie es ihm beliebte. Er wurde gut bezahlt, und er genoss als Beauftragter eines namhaften portugiesischen Unternehmens mehr Freiheiten, als es selbständige indische Händler taten, die vielerlei Schikanen unterlagen. Und: Die Inquisition hatte Leute wie Furtado nicht im Visier, solange sie nicht mit ihrem Reichtum protzten.
     
    Panjo attackierte lautstark den Reisigbesen des Hausburschen und holte Miguel zurück in die Gegenwart. Heute hatten sie sich im Kontor mit einem lästigen Fall von Ungezieferbefall an Bord einer großen Galeone befassen müssen, die das halbe Frachtgut ruiniert hatte. Die Frage, wer für den Schaden haften solle, hatte die Gemüter erhitzt, und stundenlange Gespräche mit den Vertretern der Reederei hatten zu keinem Ergebnis als dem geführt, dass die Geschäftsbeziehungen vor dem Aus standen. Miguel war erschöpft. Die Possen seines Hundes munterten ihn auf, wenngleich er Panjo wohl ausschimpfen musste. Der junge Dienstbote, der den ganzen Tag in gekrümmter Haltung mit dem kurzen Besen das Haus abwanderte, würde kein Verständnis dafür aufbringen, wenn er der Belustigung eines Hundes dienen sollte.
    Crisóstomo kam Herrn und Hund begrüßen. Er setzte eine unterwürfige Miene auf und fragte, ob er eine Erfrischung bringen solle. Miguel bejahte. Während der Bursche zur Küche unterwegs war, fragte Miguel sich, was er mit ihm anstellen sollte. Crisóstomo ähnelte Senhor Furtado mehr, als den beiden recht sein dürfte, dachte er belustigt. Der Junge war fleißig und schlau und in der Kunst, sich unsichtbar zu machen, tatsächlich sehr beschlagen. Ideal wäre es gewesen, Crisóstomo hätte eine Lehre bei Ribeiro Cruz & Filho beginnen können. Aber nach den Vorfällen, die dazu geführt hatten, dass er, Miguel, den Burschen nun am Hals hatte, konnte er Furtado unmöglich diesen Vorschlag unterbreiten. Dieser hätte darauf gewiss mit demselben Unverständnis reagiert wie auf das Mitbringen des Hundes ins Kontor. Vielleicht konnte man den Jungen bei einem anderen Kaufmann lernen lassen? Aber bei wem? Ach was, sagte Miguel sich, Crisóstomo konnte ja nicht einmal lesen und schreiben. Man müsste ihn zunächst auf eine Schule schicken, und wenn er das täte, würde er alle anderen Dienstboten ebenfalls am Unterricht teilnehmen lassen müssen, bevor es zu einem Aufstand der Domestiken kam.
    Crisóstomo erschien lautlos und stellte einen Krug mit Ingwerwasser vor Miguel ab. Dazu legte er ihm einen Brief, der heute angekommen war, und verschwand wieder. Miguel griff nach dem Umschlag und erkannte, dass es sich um Post von zu Hause handelte. Die Handschrift seiner Mutter war unverwechselbar, mit den gekünstelten Schleifen und Bögen und den klitzekleinen Buchstaben, die stark nach links gebeugt waren. Er öffnete das Couvert mit dem Zeigefinger, weil er zu bequem war, zum Sekretär zu gehen und den Brieföffner zu holen.
    Mein lieber Miguel,
    nun, da Du diesen Brief in Händen hältst, bist Du wohl wieder gesund zu Hause (wenn man das Solar das Mangueiras denn als ein Zuhause betrachten will) eingetroffen. Du machst Dir keine Vorstellung davon, welche Ängste mich überfielen, als ich in Deinem Brief las, dass Du eine große Indienreise planst. Dieses schreckliche, gefährliche, riesige, wilde Land! Wie kannst Du nur? Ist es

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