Der indigoblaue Schleier
Schäfchen auch ohne Folter an den einzig wahren Gott glaubten und an die Allmacht der römisch-katholischen Kirche? Wann würde dieser Spuk endlich ein Ende haben?
Er stand auf und ging zu seinem Sekretär. Er musste sich mit etwas Sinnvollem beschäftigen, um die trübsinnigen Gedanken fortzuwischen. Er hatte zum Beispiel noch gar nicht die Liste erstellt, die er Sidónio mitgeben wollte, eine Bestandsaufnahme jener Gegenstände, die sein Freund in Lissabon anbieten sollte, sowie die Preise, die er mindestens erzielen musste. Wenn er es Sidónio überließ, einen Preis auszuhandeln, würde der in seiner grenzenlosen Großzügigkeit wahrscheinlich das meiste verschenken. Miguel nahm Platz und begann zu schreiben.
20 Elfenbeinminiaturen – leicht gerundete Tafeln, die aus dem Stoßzahn von Elefanten gewonnen und mit pittoresken Szenen aus dem Leben der Sultane oder mit bezaubernden indischen Landschaften bemalt sind: je 1000 Reis. Achtung: 5 der Tafeln zeigen unverhüllt erotische Motive, diese nur absolut vertrauenswürdigen Käufern anbieten, und zwar zum doppelten Preis!
5 Bahnen feinster Stoff à 6 Meter Länge und 1 Meter Breite (Saris!) aus gold- und silberdurchwirkter Seide, mit Perlen und Halbedelsteinen bestickt (in Portugal als Schal, Bettüberwurf, Gardine oder Tischschmuck zu verwenden?): je 500 Reis.
7 winzige Schmuckkästchen/Pillendöschen aus fein ziseliertem Silber: je 200 Reis.
10 Haarkämme aus Elfenbein, mit Schmuckornamenten aus Gold und Silber versehen: je 300 Reis. Achtung: Einer ist mit echten Rubinen verziert, dieser: 500 Reis.
Er hielt kurz inne und überschlug den Umsatz, den er bestenfalls erwarten durfte: 30 700 Reis, also rund 30 Milreis. Das war sehr dürftig. Wenn er davon Sidónios Provision von zehn Prozent abzog, blieben 27 Milreis. Wenn er davon die Einkaufskosten abzog, blieben 15 Milreis. Und wenn er davon wiederum die Kosten für Reise, Transport und Verpackung abzog, dann blieb … nichts. Die ganze Sache würde sich für ihn nur lohnen, wenn er künftig mit viel größeren Stückzahlen arbeitete oder wenn er die Preise erhöhte. Letzteres erschien ihm allzu dreist, er verlangte ja schon jetzt mehr als doppelt so viel, als hier in Goa dafür gezahlt wurde. Nun, im Augenblick konnte er wenig daran ändern. Er würde abwarten müssen, was Sidónio erzielte und was er ihm über aktuelle Moden zu berichten hatte. Obwohl, da fragte er doch lieber Delfina.
Vielleicht könnte man Dinge, die sich in Europa gerade großer Beliebtheit erfreuten, für einen viel niedrigeren Preis in Indien fertigen lassen. Miguel dachte dabei an all den Firlefanz, mit dem Frauen sich gern umgaben: Zuckerdosen und Alabastervasen, Silberspiegel und Haarbürsten, Tafelbesteck und Damasttischwäsche, Porzellanfigurinen und Seidenbänder. Aber ja, das war eine gute Idee! Sie hatte obendrein den Vorteil, dass er Delfina mit dieser Aufgabe von ihrem Kummer ablenken könnte. Sehr zufrieden mit sich, rückte Miguel den Stuhl vom Sekretär ab und ging zu der Anrichte, in der die edlen europäischen Getränke untergebracht waren. Jetzt würde er sich einen kleinen Portwein gönnen. Er nahm die Karaffe sowie ein Kristallgläschen heraus. In dem Glas lag eine tote Mücke. Er kippte sie auf den Boden, wischte mit einem Zipfel seines Hemdes den Staub von dem Glas und gab eine so großzügig bemessene Dosis von dem edlen Port hinein, dass es beinahe überlief. Er stürzte ihn in einem Zug hinunter. Er schenkte sich ein weiteres Glas ein und begab sich damit zu seinem Lieblingssessel. Als er den Brief seiner Mutter auf dem Tischchen in einer Pfütze liegen sah, ein Teil der Tinte schon verschwommen, verflog seine Hochstimmung augenblicklich.
Panjo kam und stupste ihn mit der Nase an. Der Hund suchte seine Aufmerksamkeit, wollte spielen oder schmusen. Nun gut, dann sollte er doch seinen Willen bekommen. Miguel knüllte den Brief seiner Mutter zu einer Kugel zusammen und warf sie wie einen Ball quer durch den Salon. Panjo sauste dem wunderbaren Spielzeug ausgelassen hinterher.
Wenigstens einer, dachte Miguel, dem der Brief eine Freude bereitete.
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31
A mba fächelte sich Luft zu. Es war jetzt, im März, bereits so drückend, dass sie sich fragte, wie dann wohl erst der Mai würde, der heißeste und schwülste Monat des ganzen Jahres. Es war wieder an der Zeit, der Indigoplantage einen Besuch abzustatten, doch nichts hätte sie weniger reizen können. Vielleicht sollte sie lieber bis nach dem Monsun
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