Der indigoblaue Schleier
war, sich auf einen solchen Kuhhandel einlassen würde. Und »Kuhhandel« traf es sicher ganz gut: Wenn diese Isabel mit 23 Jahren noch nicht unter der Haube war, trotz einer bestimmt sehr ansehnlichen Mitgift, dann würde das wohl seine Gründe haben. Sie musste entweder abgrundtief hässlich aussehen oder von einem sehr garstigen Naturell sein, wenn sich kein anderer Bewerber finden ließ als der missratene jüngere Sohn Ribeiro Cruz.
Miguel sah auf das Datum des Briefes und stellte fest, dass er nur knapp vier Monate unterwegs gewesen war. Wenn diese Isabel das schönste der väterlichen Schiffe genommen hatte, die »Estrela do Mar«, dann würde sie im April oder Mai hier eintreffen. Es blieb ihm also noch ein wenig Zeit, sich zu überlegen, wie er möglichst diplomatisch dieser arrangierten Ehe aus dem Weg gehen konnte. Eine Möglichkeit wäre, so zu tun, als habe er den Brief nie erhalten, und sich einfach wieder auf Reisen zu begeben. Dann würde die arme Möchtegern-Braut sehr schnell wieder nach Hause wollen, sofern sich nicht ein anderer geeigneter Kandidat in der Kolonie fand. Ein weiterer Weg bestünde darin, das Problem frontal in Angriff zu nehmen: Er würde der Dame ins Gesicht sagen, dass er mit diesen Absprachen, die über seinen Kopf hinweg getroffen worden waren, nicht einverstanden war und sie beim besten Willen nicht ehelichen konnte.
Dass Isabel de Matos eine bezaubernde junge Dame sein könne, hübsch, klug und warmherzig, das konnte Miguel sich nicht vorstellen. Dass sie vielleicht tatsächlich eine geeignete Ehefrau für ihn sein könne, das glaubte er noch viel weniger. Es gab nur eine Frau, die sich in sein Herz geschlichen hatte. Und keine andere würde je mit Dona Amba konkurrieren können, ganz gleich, mit wie viel Schönheit oder Esprit sie gesegnet war. Keine andere würde ihm einen Tag, an dem er sie nicht sehen konnte, trostlos erscheinen lassen, oder umgekehrt einen Tag, an dem er sie sah, mit einem glorreichen Glanz versehen. Andererseits war es ja in den wenigsten Ehen so, dass sie auf Liebe bauten. Dona Amba war verheiratet – da könnte er es doch auch sein. Wen hielt schon die Ehe davon ab, sich anderweitig umzuschauen? Ehen wurden geschlossen, um geschäftliche Verbindungen zu stärken, und nicht, um Gefühle auszuleben.
Je länger Miguel darüber nachdachte, desto mehr freundete er sich mit der Vorstellung an, eine Vernunftehe einzugehen. Sie brächte ihm nur Vorteile: eine deutliche Verbesserung seines Rufs sowie seiner Finanzen; ein gewärmtes Bett und regelmäßigen Beischlaf, der seine Körpersäfte in ein gesundes Gleichgewicht brächte und damit seine Anbetung von Dona Amba vielleicht wieder auf ein erträgliches Maß reduzieren würde; und einen gut geführten Haushalt, in dem sich die Frau um so lästige Dinge wie Einrichtung, Mahlzeiten und Diener kümmerte. Das Ganze hatte nur einen Haken: Sobald Miguel sich diese Isabel ausmalte, sah er ein bigottes Mädchen mit Damenbart vor sich, eine Betschwester mit dicken Knien, verkniffenen Lippen und zusammengewachsenen Augenbrauen. Nein! Vernunft hin oder her – er konnte diese Person nicht ehelichen.
Was sonst noch in dem Brief gestanden hatte, ließ Miguel immerhin schmunzeln. Das mit den Tulpenzwiebeln konnte nur eine schamlose Übertreibung seiner Mutter sein. Sie hatte schon immer dankbar jedes Gerücht aufgegriffen und eine riesengroße Sache draus gemacht. Wahrscheinlich war es eine ausgefallene Blumenzüchtung, die unter Botanikern für Aufregung gesorgt hatte, mehr nicht. Und wen interessierten schon die skurrilen Leidenschaften von holländischen Gärtnern?
Die Information dagegen, Galilei habe unter Folter – wie sonst war die Angst vor dem »gerechten Zorn Gottes« zu deuten? – behauptet, die Sonne drehe sich um die Erde, schmerzte Miguel. Was die Kirche sich leistete, war für jeden logisch denkenden Menschen unfassbar. Oder hätte es sein müssen. Denn es gab viel zu viele Leute, die jeden Humbug glaubten, und jede Lüge, die die Kirche ihnen auftischte, selbst wenn dabei eindeutige, belegbare physikalische Gesetze einfach geleugnet wurden. Zumindest taten sie so, als glaubten sie es – der Papst war schließlich unfehlbar, oder? Für Miguel lag zwischen
glauben
und
glauben müssen
ein himmelweiter Unterschied, und es wollte ihm nicht in den Kopf, wieso die Kirche meinte, ihre Herde mit so absurden Mitteln zusammenhalten zu müssen. War sie denn nicht davon überzeugt, dass die dummen
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