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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sie mit einer Geste.
    »Ich bin nicht blind. Sobald ein männliches Wesen in der Nähe ist, schlüpfst du in die Rolle, die dir gerade genehm ist. Mal bist du die unnahbare Herrin, mal gibst du die fürsorgliche Heilige. Du selber bist du nie. Denk darüber nach, Anuprabha.«
    Dem Mädchen lagen tausend Dinge auf den Lippen, die es hätte erwidern wollen, aber sie schluckte all die bitteren Worte hinunter. Wie, bitte schön, sollte sie denn »sie selber« sein, wenn sie gar nicht wusste, wer sie eigentlich war? Sie war ein Akrobatenkind gewesen, und sie wäre zum Tanzmädchen geworden, wenn Ambadevi sie nicht bei sich aufgenommen hätte. Aber was war sie hier? Ein Nichts. Eine von mehreren Frauen, die hier ihr Gnadenbrot bekamen. Doch sie war nicht so wie die anderen. Sie war schöner und klüger als Jyoti, sie war jünger als Nayana, sie war nicht so häuslich und schüchtern wie die Köchin Chitrani, und erst recht war sie nicht so verschreckt wie Shalini, die ja außer ihren Sohn Vikram keinen Mann auch nur ansehen konnte, ohne anzufangen zu zittern. Nein, sie hatte nichts gemein mit den anderen ruinierten Existenzen – sie war jung und lebenshungrig! Doch kaum je verließ sie das Grundstück, und bei den wenigen Besuchern, die sich hier blicken ließen, konnte sie ihre weiblichen Reize auch nicht anbringen. Ambadevi hatte gut reden, die war alt und hatte sicher ihren Spaß gehabt.
    »Du kannst jetzt gehen«, entließ Amba das Mädchen. Sie ahnte, was jetzt in Anuprabha vorging, und zum Teil verstand sie es auch. Dennoch musste sie dem Mädchen Grenzen setzen, sonst geriete es noch völlig außer Rand und Band. Damit, dass Anuprabha in ihr jetzt eine gefühllose, hartherzige, verbitterte Alte sah, konnte sie leben.
     
    Wenige Wochen später war es so weit: Amba trat ihre Reise gen Osten an, um die Plantage zu inspizieren. Wie immer fuhr sie in Begleitung ihrer
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Nayana, die als Einzige wusste, was das Ziel der Reise war. Die anderen Hausbewohner waren halb neidisch, halb froh: Es wäre schön gewesen, einmal herauszukommen und dadurch, dass man Ambadevi begleiten durfte, sozusagen geadelt zu werden. Es war aber auch nicht schlecht, wenn die Herrin fort war und sie sich auf dem Gelände ungeniert dem Müßiggang hingeben konnten. Denn der Einzige, der ein wachsames Auge auf alle hatte, war der alte Dakshesh, und der ließ sich schnell ausschalten. Man musste ihm nur ein paar Schlucke Feni-Schnaps unterjubeln, schon lag der Gärtner den halben Tag unter dem Banyan-Baum und schnarchte, was das Zeug hielt.
    Anuprabha hatte die Standpauke von Ambadevi noch immer nicht vergessen. Im Gegenteil, ihr Ärger über diese Ungerechtigkeit war nur noch gewachsen. Natürlich war sie klug genug gewesen, ihre wahren Gefühle nicht der Herrin zu zeigen. Sie hatte den Groll, der unablässig an ihr nagte, stattdessen den anderen gegenüber ausgetobt: Sie hatte heimlich eine Handvoll Salz in Chitranis Milchpudding gegeben, so dass dieser ungenießbar wurde; sie hatte Daksheshs Turban abgewickelt, so dass der Alte, als er nach einem Nickerchen in der Sonne erwachte, einen Sonnenbrand auf seinem fast kahlen Schädel hatte; sie war an Nayanas Börse gegangen, die diese vergessen hatte mitzunehmen, und hatte daraus ein paar Münzen stibitzt; sie hatte Jyoti beleidigt und gedemütigt; sie hatte Shalini und Vikram gegeneinander aufgehetzt, indem sie der Mutter Lügen über den Sohn und umgekehrt dem Sohn über die Mutter erzählt hatte; und schließlich hatte sie Makarand an den Rand des Wahnsinns getrieben, indem sie einige verführerische Tanzschritte vor ihm aufgeführt und dann gesagt hatte, wenn er mehr sehen wolle, müsse er sich schon ein wenig mehr Mühe mit den Geschenken geben.
    Die Stimmung im Haus war gereizt. Alle sehnten die Ankunft Ambadevis herbei. Und lange konnte es nicht mehr dauern, sie war nie länger als zwei Wochen unterwegs. Anuprabha war die Einzige, der die Rückkehr der Hausherrin nicht so wichtig war. Sie hatte ein perverses Vergnügen an ihren Boshaftigkeiten gefunden, und sie war noch lange nicht befriedigt. Ein richtig großes Abenteuer hatte sie keines erlebt.
    »Makarand?«, wandte sie sich eines Abends an ihren Verehrer.
    »Ja?« Die Stimme klang hoffnungsfroh und ungläubig, als könne er sein Glück kaum fassen, dass Anuprabha von sich aus das Wort an ihn richtete.
    »Makarand, ich war nicht immer so freundlich zu dir, wie es dir zustünde. Du bist ein wahrer Freund.«
    Der junge Mann rollte

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