Der indigoblaue Schleier
ihre Ankunft ein wenig verzögert – sie wird in einigen Wochen mit der ›Estrela do Mar‹ eintreffen.«
»Wie schön für Euch«, presste Amba hervor. Sie hatte geglaubt, Miguel habe diese Verlobte nur erfunden, um unter einem fadenscheinigen Vorwand ihre Gesellschaft zu suchen. Und nun stellte sich heraus, dass es tatsächlich eine Frau in seinem Leben gab. Es versetzte ihr einen kleinen Stich, und sie ärgerte sich über diesen Anflug von Eifersucht. Hatte nicht sie selber diesen Mann auf Abstand halten wollen?
Das Erscheinen von Jyoti, die Gewürztee und herzhaftes Gebäck brachte, gab ihr die Zeit, die sie brauchte, um sich wieder zu fangen. Sie sah hinab in den Garten, den Dakshesh und Makarand gemeinsam, Grashalm für Grashalm, nach dem Schlüssel absuchten. Sie hätte nun gern begonnen, dem Portugiesen ihren Vorschlag zu unterbreiten, wollte aber nicht, dass ihre Diener mithörten. »Wie es scheint, ist hier nichts zu finden«, sagte sie zu Miguel. »Seid Ihr sicher, den Schlüssel hier verloren zu haben?«
Und ob er das war! Aber das konnte Miguel ihr schlecht verraten. Stattdessen sagte er nachdenklich: »Nein, mit Bestimmtheit kann ich es natürlich nicht sagen – aber Ihr wart meine letzte Chance.«
»Apropos letzte Chance«, sagte Amba leise. Sie gab dem Gärtner und dem Burschen ein Zeichen, sie mögen sich entfernen. »Euer Besuch kommt gerade zum rechten Zeitpunkt, denn ich möchte mit einer Bitte an Euch herantreten. Und glaubt mir, es widerstrebt mir zutiefst, Eure Hilfsbereitschaft strapazieren zu wollen. Ich stehe nicht gern in der Schuld anderer Menschen. Aber es will mir partout keine andere Lösung einfallen.«
Miguels Neugier war geweckt. Er freute sich richtig auf die Bitte, die sie an ihn richten würde, bedeutete es doch, dass der Kontakt weiter bestehen würde und er einmal mehr einen guten Grund geliefert bekäme, Dona Amba aufzusuchen. Und was konnte es schon Schwieriges sein, das sie von ihm wollte? Er würde ihr jeden Gefallen tun, und nichts schien ihm unmöglich. »Ich fühle mich äußerst geehrt, dass Ihr mich für würdig erachtet, Euch bei der Lösung Eures Problems zu helfen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Euer Vertrauen in mich zu rechtfertigen.«
»Es handelt sich um eine Angelegenheit von großer, wie soll ich sagen, von großer Tragweite.«
Miguel nickte ihr erneut zu. »Fahrt fort. Kein Wort von dem, was hier heute gesprochen wird, dringt an die Öffentlichkeit.«
»Ich danke Euch für Euer Verständnis. Nun, es ist so: Eines meiner Dienstmädchen ist verhaftet worden und befindet sich nun in Gewahrsam. Wenn auch nur die Hälfte dessen stimmt, was man über die Kerker von Goa hört, dann leidet sie entsetzliche Qualen.«
»Oh, wie furchtbar«, sagte Miguel und strengte sich an, mitfühlend zu klingen. Er war leicht enttäuscht, dass er zur Rettung eines Dienstmädchens herhalten sollte und nicht mit einem Auftrag betraut wurde, der mehr Heldenhaftigkeit verlangt hätte.
»Ihr werdet Euch fragen, was die Ärmste verbrochen hat, um in diese missliche Lage zu geraten.«
Wieder nickte Miguel.
»Das dumme Kind hat sich, ohne mein Wissen, versteht sich, während meiner kurzen Abwesenheit davongestohlen, zusammen mit dem nichtsnutzigen Bengel, der Euch vielleicht vorhin im Garten aufgefallen ist. Die beiden haben einen Ausflug in die Stadt unternommen. Das Mädchen bedeckte sein Gesicht mit einem blauen Schleier …«
Oho! Das versprach schon aufregender zu werden. Miguel setzte sich ein wenig aufrechter hin, ein Bild völliger Konzentration.
»Selbstverständlich bestand keinen Augenblick die Gefahr, sie mit mir zu verwechseln. Sie trug ordinäre Kleidung, und das wenige Ersparte, das die beiden Ausreißer für ihr kindisches Vergnügen ausgegeben haben, reichte nur für eine sehr alte, primitive Sänfte. Dennoch drängt sich mir der Verdacht auf, dass man sie für mich gehalten haben könnte. Die Inquisition hat kein Interesse daran, ihre sehr, ähm, phantasievollen Befragungsmethoden an naiven Dienstmädchen zu erproben, deren einziges Vergehen darin besteht, ihre Herrschaft zu hintergehen.«
Miguel hätte zu gern Dona Ambas Gesicht gesehen. Was verbarg diese Frau? Warum glaubte sie, dass sie das eigentliche Opfer der Verhaftung hätte sein sollen? Hätte es sich um Delfina gehandelt, hätte er freiheraus nachgefragt. Bei Dona Amba hatte er Hemmungen. Denn es konnte nur zweierlei dabei herauskommen: Entweder brachte er sie in
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