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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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gut, fühlte Miguel sich bereits kräftig genug, aufzustehen und sich an den Tisch zu setzen. Allerdings wurde ihm dabei so schwindlig, dass er, als er sich auf den Stuhl fallen ließ, schwarze tanzende Pünktchen sah und seine Ohren vorübergehend taub wurden. Während er saß, erholte er sich langsam wieder. Es war kein gutes Gefühl, so schwach und auf die Hilfe fremder Leute angewiesen zu sein. Er war nie in seinem Leben ernstlich krank gewesen und hatte seine robuste Gesundheit immer als selbstverständlich hingenommen. Welch einem Irrglauben er erlegen war! Er hatte sich sogar für immun gegen die Pest gehalten, weil einer seiner Vorfahren die schwere Epidemie von 1569 , von der ein Großteil der Bevölkerung Lissabons dahingerafft worden war, unbeschadet überstanden hatte.
    Er legte gerade die Karten für eine selbstentwickelte Variante von Solitaire aus, als Dona Amba klopfte.
    »Wie erfreulich, dass Ihr schon das Bett verlassen könnt«, sagte sie. »Ich denke, in zwei bis drei Tagen können wir Euch ziehen lassen.«
    »Das«, entgegnete Miguel, »wäre ja ein Grund, noch länger leidend bleiben zu wollen.«
    »Euch gefällt es bei uns?«, fragte sie, und Miguel glaubte einen bissigen Unterton heraushören zu können.
    »Ihr gefallt mir.«
    »Eure Genesung schreitet wirklich schnell voran. Sogar Eure Dreistigkeit ist schon wieder zurückgekehrt.«
    »Verzeiht, ich wollte Euch nicht beleidigen. Ganz im Gegenteil, ich wollte Euch zu verstehen geben, dass ich Eure Gastfreundschaft und vor allem die Pflege, die Ihr mir habt angedeihen lassen, sehr zu schätzen weiß. Auch Euer Anblick ist sehr erbaulich und war meiner Genesung sicher zuträglich.«
    Wie schaffte es dieser Kerl eigentlich immer, fragte Amba sich, dass er so freundliche Dinge sagen und dabei so beleidigend sein konnte? Zweideutigkeiten dieser Art gefielen ihr nicht. Und warum gelang es ihr nicht, sich einfach nur darüber zu ärgern und diesen Mann zu ignorieren, wie sie es mit anderen auch tat, statt seinen Bemerkungen immer eine schmeichelhafte Seite abzugewinnen? Dieser Ribeiro Cruz und seine Frechheiten beschleunigten ihren Herzschlag. Das war nicht gut.
    »Nun, ich hoffe, dass Ihr keinen Rückfall erleidet, wenn ich Euch mit Euren Spielkarten wieder allein lasse. Ich habe zu tun.« Und schon war sie fort.
    Am Abend desselben Tages hatte Miguel den Eindruck, er könne einmal ein paar Schritte mehr versuchen. Doch schon die Prozedur des Ankleidens schwächte ihn so sehr, dass er dabei jede Unternehmungslust verlor. Er fügte sich in sein Schicksal und legte sich wieder ins Bett. Vielleicht wäre er dann am Morgen bei Kräften. Tatsächlich gelang es ihm im Morgengrauen, sich anzuziehen, ohne dass ihm schwindelte. Der Hund wuselte aufgeregt um ihn herum, er schien zu spüren, dass es seinen Herrn nach draußen zog, und hoffte wohl darauf, dass dieser ihm Bällchen warf. Doch als Miguel sich die Verandastufen hinunterschleppte, flimmerte es ihm wieder vor den Augen. Er setzte sich auf die oberste Stufe und wartete, dass der Schwächeanfall vorüberging. Panjo legte sich ins Gras zu seinen Füßen und schaute ihn halb erwartungsvoll, halb besorgt an, als verstünde er genau, dass sein Herrchen nicht konnte, wie er wollte.
    Es war sehr früh am Tag. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, tauchte jedoch die Bäuche der Wolken, die sich am Horizont türmten, in einen intensiven Orangeton. Miguel beobachtete das Spektakel versonnen, das Kinn auf beide Hände und die Ellbogen auf die Knie gestützt. Die Luft duftete würzig nach Erde, nassem Laub und Wachstum. Die ersten Vögel zwitscherten munter vor sich hin, auch sie froh, dass der Dauerregen eine Pause eingelegt hatte. Wie froh er war, dass er lebte und dies alles sehen, riechen und hören konnte!
    »Es ist eine magische Stunde, nicht wahr?«, hörte er plötzlich Dona Ambas Stimme hinter sich. Sie war lautlos aus dem Haus gekommen und setzte sich nun auf die gemauerte Bank der Veranda schräg hinter ihm. Von dort hatte sie einen herrlichen Blick gen Osten, wo jeden Augenblick die Sonne aufgehen würde.
    »Ja«, antwortete Miguel. Die friedliche, leichte Stimmung, die ihn erfasst hatte, war jedoch verflogen. In Gegenwart dieser Frau konnte er sich nicht entspannen.
    »Möchtet Ihr einen Gewürztee? Ich bereite mir selber auch einen zu.«
    »Sehr gern – auch wenn es mir unangenehm ist, Euch für mich laufen zu lassen.«
    »Ich erwache meist vor meinen Dienern. Manchmal wecke ich die Leute, aber

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