Der indigoblaue Schleier
die Anuprabha ihm angedeihen ließ, zu beschweren. Es war ihm peinlich, von einer Frau gewaschen und gefüttert zu werden. Andererseits war Anuprabha das wahrscheinlich einzige Mädchen auf der ganzen Welt, vor dem er sich nicht zu genieren brauchte – immerhin hatte er sie aus einer mindestens ebenso demütigenden Lage befreit.
Als Dona Amba ihn das nächste Mal besuchte, war er wacher und aufnahmebereiter. Er war neugierig zu erfahren, was alles geschehen war, während er mit dem Tode gerungen hatte.
»Wie steht es auf dem Solar das Mangueiras? Sind die anderen auch krank? Was haben Eure beiden Dienstboten von dort an Nachrichten mitgebracht?«
»Nur Ihr wart erkrankt, den anderen ging es gut. Aus der Hauptstadt allerdings hört man die schrecklichsten Dinge. Ein Drittel der Bevölkerung ist der Cholera erlegen, und noch immer wütet die Seuche.«
»Warum wohl hat sich weder bei mir zu Hause noch hier jemand angesteckt? Das ist doch merkwürdig, findet Ihr nicht?«
»Erstens haben wir alle ein Tuch über Mund und Nase getragen, und soviel ich weiß, war es bei Euren Leuten nicht anders. Dennoch bestätigt dieser ganze Fall meine Vermutung, dass die Krankheit gar nicht über die Luft weitergetragen wird, sondern dass man sich an dem vergifteten Wasser ansteckt. Wegen des starken Regens sind die Abwasserkanäle übergelaufen und haben sich mit dem Trinkwasser vermischt. Man riecht es doch schon, wenn man sich der Stadt nur nähert. Hier dagegen ist dies nicht geschehen. Außerdem achte ich streng darauf, dass zum Trinken, zum Kochen und sogar zur Zahnreinigung nur frisches Regenwasser verwendet wird.«
»Das scheint mir eine sehr weise Maßnahme zu sein.«
»Ja«, erwiderte Amba, die von falscher Bescheidenheit nicht viel hielt. »Aber wie kommt es, dass Ihr Euch infizieren konntet? Habt Ihr etwa von der grässlichen Brühe in der Stadt getrunken?«
»Nein. Das heißt …« Miguel ließ den Tag Revue passieren, an dem er mit Crisóstomo in der Stadt gewesen war. Er erinnerte sich, dass ihm übel geworden war angesichts der Verwüstung, die die Seuche angerichtet hatte. Ja, und auf dem Heimweg hatte er sich übergeben müssen, und dann … hatte er Wasser aus einem kleinen Rinnsal geschöpft, um seinen Mund von dem ekelhaften Geschmack zu befreien. Ob das die Ursache gewesen war? War das Wasser verunreinigt gewesen?
»Ich fürchte, genauso war es«, antwortete er, ohne ins Detail zu gehen. Er musste Dona Amba ja nicht unbedingt noch weiter mit seinen Unpässlichkeiten belästigen.
»Ich hoffe, Euch fehlt es an nichts?«, wechselte sie das Thema. »Lasst es mich wissen, wenn Ihr etwas benötigt.«
»Danke. Es gäbe da tatsächlich etwas, um das ich Euch bitten möchte. Zwei Dinge, um genau zu sein. Ich möchte gern, dass jemand, vielleicht Euer Bursche, dieser Makabar …«
»Makarand.«
»Genau der. Dass er also zum Solar das Mangueiras reitet und dort Bescheid sagt, dass ich auf dem Weg der Besserung bin und sobald als möglich heimkehre. Und wenn er schon einmal dort ist, könnte er mir vielleicht auch meine Spielkarten mitbringen.«
»Spielkarten?«
»Ja, das sind Karten, auf denen bestimmte Zahlen und Symbole abgebildet sind, mit denen man sich die Zeit sehr schön vertreiben kann. Es ist – und bitte nehmt das nicht als Kritik – ein wenig langweilig, den ganzen Tag im Bett zu liegen und an die Decke zu starren. Aber einen Rücktransport wollt Ihr mir ja partout nicht gestatten.«
»Selbstverständlich nicht. Wir päppeln Euch doch nicht auf, um Euch dann gleich wieder zu verlieren, weil Ihr nicht die Kraft habt, Euch auf dem Rücken eines Pferdes zu halten.«
Miguel fragte sich, ob das der wirkliche Grund war. Immerhin hatten sie ihn ja auch hierherbefördert, als er noch viel schwächer gewesen war als jetzt. Doch er gestattete sich nicht, sich länger mit der sehr schmeichelhaften Idee zu beschäftigen, Dona Amba könne seine Gesellschaft wünschen. Vielleicht steckte etwas ganz anderes dahinter, etwa die Tatsache, dass die Krankenpflege eine sehr gute Wirkung auf Anuprabha zu haben schien.
»Aber«, schickte Amba nun hinterher, »Eure Bitte will ich Euch gern erfüllen. Das Spiel wird Euch von anderen Dingen ablenken.« Damit verließ sie den Raum und ließ Miguel mit der ungeklärten Frage zurück, welche anderen Dinge das wohl sein sollten.
Als am nächsten Tag Makarand mit den Spielkarten sowie der frohen Kunde zurückkehrte, allen Leuten auf dem Solar das Mangueiras ginge es
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