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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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tröpfchenweise Kokoswasser ein, außerdem frische Milch, kräftig gesalzene Hühnerbrühe, Honigwasser, Masala-Chai und Fruchtsäfte. Aber mehr, als nötig war, um seine rissigen Lippen zu benetzen, behielt er nicht bei sich. Anuprabha ließ nicht nach. Sie beträufelte seine Zunge und seine Lippen immer und immer wieder, so dass die schiere Anzahl der Tropfen, die er auf diese Weise zu sich nahm, sich zu der Menge eines kleinen, zur Hälfte gefüllten Bechers summierte. Am nächsten Tag war es noch ein wenig mehr, am dritten konnte er bereits einen ganzen Schluck nehmen, ohne dass sein Körper ihn wieder abstieß.
    »Er trinkt jetzt drei Schlucke!«, jubelte Anuprabha am vierten Tag. Die anderen glotzten sie verständnislos an: War das etwa ein Anlass zur Freude? Der Mann war mehr tot als lebendig, er müsste schon, um den Wasserverlust wieder wettzumachen, den halben Mandovi leer saufen. »Und sein Hund lässt den Kopf auch etwas weniger hängen«, fügte Anuprabha hinzu. »Glaubt mir, die Tiere spüren so etwas. Senhor Miguel ist auf dem Weg der Besserung.«
    Nach weiteren zwei Tagen bewahrheitete sich diese Einschätzung. Miguels Fieber war gesunken, und alles, was er trank, behielt er bei sich. Mit fester Nahrung würde man noch warten müssen, aber Chitrani reicherte ihre Suppen mit so viel Fleisch und Fett an und die Getränke mit reichlich Honig und
ghee,
geklärter Butter, dass sie überaus nahrhaft waren. Miguels Lebensgeister regten sich, und sein Verstand erwachte wieder.
    Da Anuprabha sich nicht angesteckt hatte, obwohl sie den üblen Dünsten permanent ausgesetzt gewesen war, wagte endlich auch Amba einen Besuch bei dem Patienten, jetzt, da man wieder mit ihm reden konnte.
    »Ihr habt uns einen schönen Schrecken eingejagt«, sagte sie, als sie an sein Bett trat.
    »Wie bin ich hierhergekommen? Das Mädchen hat irgendetwas von dem Hund gefaselt, was mir recht unsinnig erschien. Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht doch ins Reich meiner Fieberphantasien gehörte.« Seine Stimme war schwach, und nach dieser langen Rede sank er ermattet auf die Kissen zurück.
    »Aber genauso war es: Euer treuer vierbeiniger Freund hat Euch das Leben gerettet. Wir können uns nicht vorstellen, wie er es allein über den Fluss hierher geschafft hat, aber es ist ihm gelungen. Makarand, das ist der junge Bursche, ist ihm zusammen mit dem Gärtner gefolgt und hat, weil er Euch nach der heldenhaften Befreiung Anuprabhas zutiefst ergeben ist, dafür gesorgt, dass Ihr hier gepflegt werdet.«
    »Ich danke Euch.«
    Amba tat es mit einem Wink ab. »Ach, dankt lieber Makarand und Anuprabha. Oder Eurem Hund. Er ist ein sehr kluger Kerl, Ihr habt Glück, einen so treuen Begleiter zu haben.«
    »Ja«, sagte Miguel und streichelte Panjos Kopf, »und ich liebe ihn mehr, als man ein Tier lieben sollte.« Er liebte, dachte er, auch Dona Amba mehr, als man eine verheiratete Frau lieben sollte, aber das behielt er natürlich für sich. Er wagte es nicht, sie erneut darum zu bitten, ihren Schleier zu lüften. Er würde nie wieder irgendwelche Forderungen stellen können, nicht an die Frau, der er nun sein Leben verdankte.
    »Wie lange bin ich schon hier?«, fragte er und starrte dabei auf ihre hübsche kleine Hand, die den Kopf des Hundes tätschelte.
    »Etwa eine Woche. Von Euren Dienstboten hat Makarand erfahren, dass Ihr bereits eine ganze Zeit in Euerm Haus gepflegt worden wart, wobei die Art der Pflege, die man Euch angedeihen ließ, mehr darauf abzielte, Euer Ableben zu beschleunigen.«
    »Es war dieser Arzt«, flüsterte Miguel, bevor ihm wieder die Augen zufielen. Leise entfernte Amba sich.
     
    Die letzte bewusste Erinnerung, die Miguel hervorkramen konnte, war die an den hageren, schwarz gekleideten Mann mit seinem Doktorhut, der ihn mit einem Aderlass und Schröpfgläsern traktierte. Alles, was danach passierte, war im Strudel seiner Fieberträume versunken. Und nun befand er sich hier, beinahe Tür an Tür mit Dona Amba, ein Umstand, den er sich in seinen kühnsten Visionen nicht hätte vorstellen können. Verrückt, dachte er, dass ausgerechnet eine heimtückische Krankheit, die er nur um ein Haar überlebt hatte, ihn seiner Angebeteten so viel näher gebracht hatte. Er versuchte sich aufzurichten und aus dem Bett zu steigen, doch sofort ergriff ihn ein heftiger Schwindel, der ihn schwarz vor Augen werden ließ. Er war noch nicht kräftig genug, um aufzustehen. Genauso wenig, wie er kräftig genug war, sich über die Pflege,

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