Der indigoblaue Schleier
auch hinterlistig sein mochte.
Außer ihrem Stolz gab es keinen vernünftigen Grund, sich zu zieren. Und wenn das die Belohnung war, die er sich erhoffte … was kostete es sie schon? Langsam hob Amba den Schleier.
»Ihr seht atemberaubend aus«, raunte Miguel ihr zu.
Sie schenkte ihm ein Lächeln, bei dem er vollends dahinschmolz. Es war das erste Mal, dass er sie lächeln sah. Ihre Zähne waren so wunderschön wie der Rest von ihr, und ihre Züge wirkten weicher und jünger. Sie sah aus wie ein frisch verliebtes Mädchen. Er hoffte, dass er selbst nicht aussah wie ein verliebter Trottel.
Eine kräftige Windböe ließ die Vorhänge flattern und die Kerzen in den Laternen flackern. Auf Ambas Unterarmen zeigte sich eine Gänsehaut.
»Ist Euch zu kalt?« Miguel stand auf und zauberte aus einem Schubladentischchen, auf dem zugedeckte Platten und Schüsseln standen, einen langen Kaschmirschal hervor. »Ihr erlaubt«, sagte er und legte ihn um ihre Schultern, wobei er ihr leicht über die Arme strich. Amba erschauerte.
»Und nun«, dabei stellte er eine Platte auf den Esstisch und nahm den Deckel ab, »voilà, die Vorspeise.« Er servierte die kalten Happen – in Ingwer und Zitrone marinierte, gebratene Hähnchen- und Gemüsescheibchen – und nahm wieder Platz.
»Wo habt Ihr das so schnell aufgetrieben?«, fragte Amba.
»Mir schwebte etwas sehr viel Delikateres vor, aber Austern oder Spargel waren im Dorf nicht zu bekommen, und ich bezweifle, dass ich sie in der Stadt gefunden hätte. Allerdings hatte der Dorfpfarrer, von dem auch der Wein stammt, gerade ein Huhn geschlachtet. Makarand hat sofort zugeschlagen.«
Amba musste laut auflachen. Es war ein heller, fröhlicher Klang, der Miguel durch Mark und Bein ging, so unbeschwert und leicht war er. Von dieser Seite kannte er Dona Amba bisher nicht.
Einen Augenblick lang fragte Amba sich, wie er das alles bezahlt hatte. Als Miguel zu ihnen kam, war er zwar vollständig bekleidet gewesen, hatte aber weder Gepäck noch eine einzige Paisa dabeigehabt. Irgendwann einmal würde sie ihn danach fragen.
Etwas unsicher nahm sie das Besteck zur Hand. Sie hatte den Umgang mit Messer und Gabel zwar gelernt, war jedoch wenig geübt darin. In ihrem Haus wurde auf indische Weise gegessen, nämlich mithilfe von Brot, das man mit den Fingern bog und damit die meist eintopfähnlichen Gerichte aufnahm. Mit dieser Esskultur wiederum taten die meisten Ausländer sich schwer.
»Es schmeckt vorzüglich«, sagte sie. »Bestellt Chitrani meine Komplimente.«
»Ja, das ist ihr sehr gut gelungen, nicht wahr?« Miguel hörte sich an, als sei es allein sein Verdienst, dass das Mahl schmeckte. Dabei, und das wussten beide, war der Geschmack der Speisen nur ein Teil des Genusses. Das zauberhafte Ambiente, der Wein, der Anblick des jeweils anderen beim Essen sowie die Spannung, die zwischen ihnen lag, trugen mindestens genauso zu dem Vergnügen bei.
Als Miguel die Teller und die Platte abräumte, um danach den Hauptgang zu servieren, der auf einem Rechaud warm gehalten wurde, bewunderte Amba seine anmutigen Bewegungen. Er ließ nichts fallen, klapperte nicht mit Tellern oder Besteck und war ganz einfach ein formvollendeter Gastgeber. »Ihr habt Übung im … Bedienen«, stellte sie spöttisch fest.
»Ja, das bleibt nicht aus, wenn man den Dienern zeigen muss, wie sie es machen sollen«, erwiderte Miguel leichthin. Dabei fühlte er sich nicht halb so fähig, wie er es in gesundem Zustand wäre. Er war noch immer schwach auf den Beinen, die lange Erkrankung hatte ihm mehr zugesetzt, als er sich eingestehen wollte. Aber das würde er seiner Herzensdame natürlich unter gar keinen Umständen zeigen.
Sie genossen den Hauptgang, ein indoportugiesisches
caldinho de peixe,
einen Fischeintopf mit Kokosreis, schweigend. Immer wieder erwischten sie einander dabei, wie sie ihr Gegenüber verstohlen musterten. Amba senkte jedes Mal verlegen den Blick, während Miguel sie betrachtete. Er konnte von ihrem Anblick einfach nicht genug bekommen, vor allem wenn sie, wie jetzt, ein so aufregendes Mienenspiel zeigte. Mal lag Arroganz in ihrem Ausdruck, mal Bescheidenheit, mal gab sie sich unnahbar, dann wieder wirkte sie verletzlich. Wie konnte jemand so widersprüchliche Empfindungen oder Wesenszüge auf seinem Gesicht abbilden, ohne kaum je mit der Wimper zu zucken? Miguel war verwirrt. Ob es an ihm lag, an seiner Wahrnehmung, die vielleicht durch die besondere Stimmung dieses Abends getrübt war?
Er
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