Der indigoblaue Schleier
an anderen Tagen bin ich ganz froh, die Ruhe und den Zauber des frühen Morgens allein genießen zu können.«
»Wäre es Euch lieber, ich ginge wieder hinein?«
»Oh nein!«, rief Amba und merkte zu spät, dass er ihre spontane Reaktion ganz falsch auslegen konnte. »Ich meine, Ihr seid mein Gast, und als solcher dürft Ihr Euch zu jedem Zeitpunkt aufhalten, wo es Euch beliebt. Außerdem freut es mich zu sehen, dass Ihr gute Fortschritte macht.«
»Weit habe ich es nicht geschafft.«
»Aber doch zehnmal so weit wie gestern, nicht wahr?« Amba lächelte ihm aufmunternd zu, was er natürlich nicht sehen konnte. »Kopf hoch, lieber Senhor Miguel, schon morgen oder übermorgen werdet Ihr endlich diesen abgelegenen Ort verlassen und Euch wieder ins Getümmel werfen können.«
»Vielleicht möchte ich das gar nicht.«
»Nein?«
»Ich finde es hier draußen sehr schön. Ihr habt Euch ein hübsches kleines Juwel in der Abgeschiedenheit geschaffen.«
»Wenn Ihr es erst nach dem Monsun seht, wenn alles blüht …«
»Soll das heißen, ich darf Euch dann gelegentlich einen Besuch abstatten?«
»Natürlich. Anuprabha wäre untröstlich, wenn Ihr es nicht tätet. Sie hält Euch für einen Heiligen.«
»Wie geht es ihr?«
»Schlecht. Die Torturen, die sie über sich ergehen lassen musste, haben ihren Geist gebrochen. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie war ein sehr hochnäsiges Mädchen, wisst Ihr, aber das war immer noch besser als dieses verängstigte Ding, das sie jetzt ist. Am schlimmsten ist, dass sie die Schuld für das, was passiert ist, bei sich selbst sucht.«
»Verratet Ihr mir, warum Ihr Euch ihre Rettung so viel habt kosten lassen? Das ist sehr ungewöhnlich.«
»Sagen wir, ich will in diesem Leben daran arbeiten, dass mich im nächsten ein besseres Schicksal erwartet.«
»Ist es denn so schlecht, Euer derzeitiges Los?«
Amba dachte etwas länger über ihre Antwort nach. Wie sollte sie einem Fremden, noch dazu einem Portugiesen, verständlich machen, dass es das in der Tat war. »Ich gehe schnell den Chai zubereiten«, sagte sie und floh.
Der Hund folgte ihr.
Als sie zurückkam, hatte sie sich gesammelt und eine Antwort zurechtgelegt. Doch Miguel ließ sie nicht zu Wort kommen. »Würdet Ihr mir«, fragte er mit Unschuldsmiene, »die Ehre erweisen und mir heute Abend ein wenig Eurer kostbaren Zeit opfern? Sagen wir, hier draußen, zum Sonnenuntergang?«
»Äh, ja. Aber …«
»Wundervoll!«, rief er und ging, seinen Schwindel nur mit Mühe verheimlichend, beschwingt auf sein Zimmer zurück.
Und dort blieb er die nächsten Stunden, verbat sich jede Störung und heckte einen Plan aus.
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39
G egen Mittag rief Miguel nach Anuprabha. »Darf ich dich um einen großen Gefallen bitten?«
»Aber ja,
sahib,
ich tue alles für Euch, das wisst Ihr doch.«
»Und glaubst du, dass uns auch Makarand behilflich sein könnte?«
»Gewiss,
sahib,
er ist Euch, genau wie ich, zu großem Dank verpflichtet.«
»Und versprecht ihr zwei mir, dass ihr keiner Menschenseele etwas verraten werdet?«
»Aber ja!« Ungeduld hatte sich in Anuprabhas Stimme gemischt.
»Gut. Ich möchte Dona Amba mit einem Festmahl überraschen. Nicht mit einem, wie ihr es vielleicht kennt, wo viele Gäste geladen sind und sich die Tische unter unzähligen Leckereien biegen. Nein, mir schwebt ein kleines Diner für zwei Personen vor, mit ein paar wenigen, aber umso köstlicheren Delikatessen.«
»Ah.« Anuprabha wirkte nicht gerade überzeugt, dass dies die Art von Überraschung war, mit der man ihrer Herrin eine Freude bereiten konnte.
»Glaubst du, euch beiden könnte es gelingen, bis zum Nachmittag eine Art Zelt oder einen Baldachin im rückwärtigen Teil des Gartens zu errichten, und zwar so, dass Dona Amba davon nichts mitbekommt?«
»Ich glaube schon.«
»Dorthin bringt ihr einen kleinen Tisch und zwei Stühle. Ihr deckt den Tisch nach europäischer Manier ein, wobei ich euch helfen kann. Immer vorausgesetzt, es gibt Porzellan und Besteck und Tischwäsche.«
»Aber Miguel-sahib, was glaubt Ihr, wo Ihr seid?! Wir haben alles da, um ausländische Herrschaften angemessen zu bewirten.«
»Wunderbar. Des Weiteren müsst ihr die Köchin davon überzeugen, heute ein Gericht zuzubereiten, das ihr vielleicht nicht so geläufig ist. Am besten wird sein, du schickst sie zu mir, dann kann ich das selbst mit ihr besprechen.«
»Chitrani kann alles kochen, auch portugiesische Gerichte.«
»Das ist gut. Schick sie mir
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