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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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später her. Außerdem muss Makarand versuchen, einen anständigen Wein aufzutreiben. Gibt es im Dorf einen Laden, der so etwas führt?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Aber der Pfarrer hat, wie man sich erzählt, einen Weinkeller. Makarand könnte dort eine Flasche, ähm, erbitten.«
    »Aber nicht, dass er sie stiehlt.«
    »Nein, wo denkt Ihr hin! Er würde nur wahrscheinlich eine haarsträubende Geschichte erzählen, vielleicht von einem Kranken, der den Wein zu seiner Genesung braucht, und dem Mann auf diese Weise eine Flasche abluchsen.« Anuprabha zwinkerte Miguel verschwörerisch zu. Für einen ganz kurzen Augenblick sah er das Mädchen, das sie einmal gewesen war.
    »Na dann: an die Arbeit!«, sagte er und zwinkerte zurück.
     
    Die Sonne zeigte sich nur zwischen den Wolken, als glühende Streifen, die schräg hindurchfielen. Aber wenigstens sah es so aus, als habe der Regen sich gelegt, der tagsüber ohne Unterlass herabgeströmt war. Miguel saß, wie schon am Morgen, auf den Stufen der Veranda. Er hatte sich heute erstmals im Spiegel gesehen und war vor seinem eigenen Anblick entsetzt zurückgewichen. Er war blass und dürr geworden, und sein mangelhaft rasiertes Gesicht hatte ausgesehen, als habe er mit Holzkohle darin herumgemalt. Nun aber war er rasiert, sein Haar war mit Öl zurückgekämmt, seine Kleidung auf die Schnelle von einer jungen Frau, die anscheinend ebenfalls hier in Diensten stand, in Ordnung gebracht worden. Die Sachen waren ihm viel zu weit geworden, aber er fühlte sich trotzdem um Welten besser als in dem Schlafgewand, das er tagelang getragen hatte.
    Als Dona Amba erschien, stand er auf und verbeugte sich vor ihr.
    »Kommt mit«, sagte er und streckte die Hand aus. Doch sie ergriff sie nicht.
    »Ich weiß nicht, was hier den ganzen Tag schon vor sich geht. Ich hoffe nur, es ist nicht wieder einer von Euren Dummejungenstreichen.«
    »Nicht wieder einer? Aber ich habe Euch bisher gar keinen gespielt. Wartet ab.« Miguel war froh, dass Dona Amba ihm immerhin folgte.
    Als sie den Teil des Gartens erreichten, in dem die Überraschung wartete, hielt er die Luft an, obwohl er das Arrangement bereits kannte. Die Diener hatten sich selbst übertroffen. Das Zeltdach, das sie im Garten errichtet hatten, war mit Blätterranken verziert, darunter stand ein festlich gedeckter Tisch mit zwei Stühlen. Sogar an einen Bastteppich hatte man gedacht, damit man sich in dem regennassen Gras keine feuchten Füße holte. Bunte Laternen tauchten das Ganze in ein warm flackerndes Licht.
    »Oh«, war alles, was Amba hervorbrachte.
    Miguel führte sie zum Tisch, rückte den Stuhl für sie ab und bat sie, Platz zu nehmen. Dann setzte er sich selber, nahm die bereits entkorkte Flasche und füllte beide Gläser.
    »Auf Euer Wohl, liebe Dona Amba.«
    »Auf das Eure«, sagte sie, hob den Schleier ein winziges Stück und führte das Glas zum Mund, ohne zu trinken. Es hätte so viele Dinge gegeben, die sie hätte sagen können, sagen müssen. Zum Beispiel, dass es sich für eine Dame in
purdah
nicht gehörte, mit einem fremden Mann zu speisen. Oder dass ihr Gemahl von diesem Tête-à-tête sicher nicht begeistert wäre, genauso wenig wie Miguels Verlobte. Sie hätte ihm sagen können, dass hinduistische Frauen in Indien keinen Alkohol tranken oder dass sie die Art und Weise, wie er über ihre Dienerschaft verfügte, unverschämt fand. Aber all das blieb ihr im Halse stecken. Denn dieses idyllische kleine Diner, das er arrangiert hatte, rührte sie fast zu Tränen. Es war wunderschön hier draußen, und noch nie hatte sie erlebt, dass ein Mann sich so viele Gedanken gemacht hätte, um ihr einen solchen Abend zu bescheren.
    »Ihr seht viel besser aus«, sagte sie.
    »Ich würde das Kompliment ja gern erwidern, aber …«
    »… aber ich kann den Schleier nicht abnehmen. Ich bin sicher, dass meine Dienstboten sich in den Bäumen versteckt haben, um nur ja keine Sekunde von dem, was sich hier tut, zu verpassen.«
    »Ich habe ihnen mit ewiger Verdammnis gedroht, falls sie sich unterstehen, uns zu beobachten. Und weil ich weiß, dass das gar nichts nützt, habe ich diese Gazeschleier hier befestigen lassen.« Er löste ein paar Schlaufen, und lange, fein gewobene Stoffbahnen fielen herab, die sie sowohl vor Mücken als auch vor neugierigen Blicken schützen würden.
    »Ihr habt an alles gedacht«, sagte sie versonnen.
    »Ja.« Er sah sie durchdringend an, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, das sowohl verschmitzt als

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