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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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nichts mehr von sich hören lassen. Also, das Unangenehmste zuerst.
    Miguel setzte sich an seinen Sekretär, legte sich einen Briefbogen zurecht und tauchte eine Feder in die Tinte.
    Liebe Mutter,
    verzeiht mir zunächst die Spärlichkeit meiner Briefe. Sie hat nicht zu bedeuten, dass ich Euch nicht öfter schreiben wollte, sondern dass mich eine Krankheit davon abhielt. Erschreckt nicht, ich bin wieder vollständig genesen, und es geht mir in jeder Hinsicht gut, wenngleich die Umstände nicht gerade dem Frohsinn zuträglich sind. Die Cholera hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Hauptstadt hinweggerafft, es ist ein großes Elend. Im Solar das Mangueiras jedoch bin ich sicher, und solange die Seuche wütet, werde ich so wenig als möglich mein Heim verlassen, was angesichts der Witterungsverhältnisse ohnehin schwierig ist. Der Monsun fegt über Goa hinweg, es sind Regenschauer und Stürme, deren Ausmaße man sich in Europa kaum vorstellen kann. Die Inder nehmen den Monsun, wie alles andere auch, mit Gelassenheit, denn er bringt auch Fruchtbarkeit über das Land. Im September wird Goa so üppig grün aufblühen, wie man es sich ebenfalls daheim in Lissabon schwer ausmalen kann. Alles hier, Gutes wie Schlechtes, ist viel intensiver, viel drastischer und gewaltiger als in Europa. Ich habe mich schon daran gewöhnt und fühle mich hier inzwischen sehr wohl, um nicht zu sagen: heimisch.
    Eure Beschreibung der Senhorita Isabel de Matos war zutreffend: Sie ist eine bezaubernde junge Dame, und wir haben spontan freundschaftliche Gefühle füreinander entdeckt. Allerdings keine zärtlichen, wie Ihr es Euch erhofft hattet. Ich fürchte also, auf eine Hochzeit Eures jüngsten Sohnes werdet Ihr noch ein wenig warten müssen, und ich schreibe dies, obwohl ich um Eure Enttäuschung weiß. Denn die Wahrheit ist Euch sicher lieber als zauderndes Gerede.
    Vaters Handelshaus wirft, wie ich höre, weiterhin gute Gewinne ab, trotz der Bedrohung unserer Vormachtstellung durch die Niederländer und die Engländer. Das freut mich. Ein Großteil der Lorbeeren kommt dabei Senhor Furtado zu, der unermüdlich für das Geschäft im Einsatz ist und den ich als überaus fähigen und korrekten Mann kennengelernt habe. Versucht Vater davon zu überzeugen, Senhor Furtado eine Gratifikation zuteilwerden zu lassen, er hat es wirklich verdient.
    Ich selber arbeite an der Gründung eines eigenen Orienthandels. Das Geschäft lässt sich sehr gut an, Einzelheiten möchte ich Euch jedoch lieber mitteilen, wenn ich etwas etablierter bin. Keine Bange: Ich werde dem Familienunternehmen keinesfalls Konkurrenz machen.
    Mit den allerherzlichsten Grüßen an Vater und Bartolomeu und in der Hoffnung auf eine baldige Antwort verbleibe ich
    in großer Zuneigung und Verehrung
    Euer Miguel
    Genau in dem Augenblick, in dem Panjo seinen Kopf auf Miguels Schoß bettete, legte Miguel das Löschpapier auf die letzten Zeilen seines Briefes. Er atmete kräftig durch, faltete die Bögen und schob sie in ein Couvert. Dieses adressierte er, dann stand er auf und legte es auf die Anrichte in der Halle, damit er es nicht vergaß, wenn er das nächste Mal in die Stadt ritt. So, das war erledigt. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, obwohl es dafür eigentlich keinerlei Veranlassung gab. Miguel verstand selber nicht, warum ihm die Briefe nach Hause immer so schwerfielen und ihn irgendwie bedrückten.
    Er spielte ein wenig mit dem Hund, der sich offenbar vernachlässigt fühlte, bevor er sich abermals an den Sekretär setzte und weitere Briefe schrieb. Diese gingen ihm nicht nur leichter, sondern auch doppelt so schnell von der Hand. Er schilderte den Mendonças die Ereignisse der vergangenen Wochen, wobei er das Wichtigste nicht erwähnte. Von der Begegnung mit Amba hätte er, wenn überhaupt, von Angesicht zu Angesicht berichtet, schriftlich fixieren wollte er es jedoch keinesfalls. Um nicht dreimal dasselbe schildern zu müssen, verteilte er die Neuigkeiten auf die drei Briefe – die Geschwister würden sie einander ohnehin vorlesen. Er bedankte sich für ihren Einsatz und gab seinem Bedauern Ausdruck, dass sie nicht in Goa waren, und zugleich seiner Erleichterung, dass ihnen die furchtbare Cholera-Epidemie erspart geblieben war. »Ich habe das Gefühl«, schrieb er, »dass über kurz oder lang die Hauptstadt verwaisen wird. Alles strebt nach Pangim, dort sind Luft und Wasser gesünder. Dennoch wird die Kirche nicht müde, noch immer neue Gotteshäuser in der Hauptstadt zu

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