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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Zähnen fand Isabel inzwischen viel schöner als das blasse Ideal ihrer Zeit.
    Genau das schoss ihr nun durch den Kopf. Sie stand vor dem Spiegel und machte sich für einen Ball zurecht, der bei Leuten stattfand, die sie kaum kannte. Welcher Mann, der für einige Zeit in Indien gelebt hatte, konnte einer Frau wie ihr noch etwas abgewinnen, wenn es überall glutäugige Schönheiten gab, die so viel verlockender aussahen? Sie fand sich hässlich, was ihr bisher noch nicht oft passiert war. Eigentlich hatte sie ihrem Aussehen nie besonders viel Bedeutung beigemessen, sie fand, dass körperliche Attraktivität eindeutig zu hoch bewertet wurde. Dass sie sich mit dieser Haltung in die Reihe derer einordnete, deren nonchalantes Selbstverständnis als schöne Menschen sie eben genau dazu machten, ahnte sie nicht.
    Sie ließ ihre indische Zofe die Frisur aufstecken, während sie selber Puder auf Dekolleté und Gesicht stäubte. Mit großer Sorgfalt verteilte sie Pomade auf ihren Lippen, denn sie wusste, dass Miguel ebenfalls zu dem Ball geladen war. Dabei hätte sie am liebsten geweint. Was nützte ein bisschen Glanz auf den Lippen? Damit eroberte sie sicher nicht das Herz eines Mannes, der vor den Augen der Welt schon ihr Gemahl war. Was für eine vertrackte Situation! Sie selber war es ja gewesen, die von Anfang an klargemacht hatte, dass sie an einer Ehe mit ihm nicht interessiert sei. Und nun, da ihr eine Hochzeit mit Miguel als die Erfüllung all ihrer Träume erschien, war es zu spät. Sie konnte tun, was sie wollte, konnte sich herausputzen und später lächelnd Frivolitäten mit ihm austauschen, es würde doch nichts ändern: In seinen Augen würde sich niemals jenes verräterische Funkeln einstellen, wie sie es zum Beispiel bei Germano, ihrem hartnäckigsten Verehrer in Lissabon, gesehen hatte.
    Und wie sollte Miguel auch ahnen, was in ihr vorging, wenn sie sich zwar hübsch für ihn machte, ihn dann aber jedes Mal mit Äußerungen brüskierte, wie sie einer jungen Dame einfach nicht anstanden? Sie hatte kein Talent zum leichten Plaudern, zum hingebungsvollen Lauschen, wenn die Männer ihre Heldentaten zum Besten gaben, oder zum getuschelten Preisgeben pikanter Gerüchte. Sie benahm sich wie eine alte Matrone, wenn sie, kam das Gespräch auf Geschäftliches, sich nicht mit den anderen Damen entfernte, sondern bei den Männern stehen blieb und direkte Fragen stellte. »Wie viele Sack Pfeffer, sagtet Ihr, fasst das Zwischendeck einer modernen Galeone?« Hinterher verfluchte sie sich immer für ihre unweiblichen Einmischungen und nahm sich vor, beim nächsten Mal zu erröten und etwas über ihre nicht existente Stickarbeit zu hauchen, wie es die anderen jungen Frauen auch taten.
    Als ihre Toilette beendet war, drehte Isabel sich im Kreis und bewunderte das ausgefallene Kleid, das sie sich hatte anfertigen lassen. Sie wusste, dass man sie als wunderschön wahrnehmen würde, aber sie fühlte sich trotzdem wie ein hässliches Entlein und nicht wie der Schwan, den sie nach außen trug. Dann war es so weit. Senhor Afonso rief nach ihr, Dona Juliana klopfte an ihre Tür. »Kommt, meine Liebe, wir sind schon viel zu spät dran.« Die Kutsche stünde vor der Tür, sie wollten aufbrechen.
    Manchmal bedauerte Isabel es, dass man sie nicht allein eine Wohnung beziehen ließ. Die Queiroz hatten sich mit Händen und Füßen gegen ein so unschickliches Unterfangen gesträubt und darauf beharrt, dass sie die Verantwortung für Isabel trügen, denn sie hätten es ihren lieben Eltern hoch und heilig versprochen. Manchmal jedoch, wie etwa jetzt, fand Isabel es schön, dass sie mit anderen Menschen zusammenlebte. In einer eigenen Wohnung hätte sie sich vielleicht gehen lassen, wäre sie womöglich in Selbstmitleid versunken und oft tagelang nicht vor die Tür gegangen. So aber sorgten die beiden älteren Leute dafür, dass Isabel einen geordneten Alltag hatte, mit geregelten Mahlzeiten und dem ganzen Pflichtprogramm, wie es sich für eine junge Frau wie sie ziemte.
    Gemeinsam hatten sie den ersten Stock in einem großzügigen Haus in der Hauptstadt gemietet, in dem Isabel eine Flucht von drei Räumen und das Ehepaar Queiroz die anderen fünf Zimmer bewohnten. Es war geräumig genug, dass sie einander aus dem Weg gehen konnten, und es erlaubte ihnen Nähe, wenn sie diese wünschten. Demnächst würde Senhor Afonso ins Landesinnere aufbrechen, um dort seine geologischen Forschungen zu betreiben, und dann wären sowohl er als auch Dona

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