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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Nach allem, was Rujul »Rui« Oliveira über die Vermögenslage der Familie wusste, hatte der zweite Sohn, Miguel, kein eigenes Geld. Rujul fuhr sich nervös mit der Hand über das Kinn, an dem schon wieder Stoppeln wuchsen und ein kratziges Geräusch machten. Wenn nun etwas dran war an den Gerüchten, die er gehört hatte? Vielleicht war Miguel Ribeiro Cruz trotz seiner feinen Herkunft nichts weiter als ein gewöhnlicher Dieb. Und er, Rujul, hatte ihm bereitwillig alle Kostbarkeiten vorgeführt, die sich in seinem Laden befanden!
    Er bekreuzigte sich und schwor bei Lakshmi, der Göttin des Wohlstands, dass er sich in Zukunft barmherziger gegenüber den Armen zeigen wollte. Aber erst musste er noch dieses Geschmeiß verjagen, das vor dem Geschäft herumlungerte und die Kundschaft abschreckte.

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9
    A mba hatte vorgehabt, bei Rujul vorbeizuschauen. Als sie sah, dass er Kundschaft hatte, ließ sie die Träger jedoch bis zum Fluss weiterlaufen. Sie konnte später noch zu dem Juwelier gehen. Sie wusste, dass er oberhalb des Ladens wohnte und auch in der Mittagszeit erreichbar wäre. Jedenfalls für sie.
    Seinen Kunden hatte sie nur von hinten gesehen, dennoch glaubte sie zu wissen, dass es sich um den gutaussehenden Portugiesen gehandelt hatte, der ihr vor Monaten schon einmal aufgefallen war. Gut, dass er sie nicht bemerkt hatte. Sein Blick war durchdringender als der der meisten Leute gewesen, und sie verspürte nicht die geringste Lust, sich ihm noch einmal auszusetzen. Amba verstand nicht, wieso alle, Männer wie Frauen, sie so aufdringlich anstarrten. Glaubten die Leute etwa, dass der Schleier, wenn sie nur lange genug glotzten, mehr von ihrem Gesicht preisgeben würde? Wie dumm die Menschen waren.
    Manche Blicke waren voller Hochachtung für eine Frau, die weiterhin nach den überlieferten Gesetzen des
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lebte, das die Frauen vor den Blicken fremder Männer schützte. Andere waren voller Hohn, weil sie in ihr eine Frau vermuteten, die aus dem muselmanischen Mogulreich im Norden kam und sich nicht mit den liberaleren Gepflogenheiten der Portugiesen abfinden konnte. Manche Blicke waren lüstern, andere neidisch, aber gleichgültig war Ambas Erscheinung niemandem. Amba wusste um die Vielfalt an Gefühlsregungen, die sie auslöste, genauso wie sie wusste, dass sie weitaus weniger Aufmerksamkeit erregt hätte, wenn sie unverschleiert gegangen wäre. Aber das konnte sie sich nicht erlauben. Wenn sie erkannt werden würde, müsste sie erneut flüchten. Also nahm sie es hin, dass man sie begaffte, und beschränkte ihre Ausflüge in die Stadt auf ein absolutes Mindestmaß.
    Rund um das Hafengebiet war heute ein regelrechter Volksauflauf. Amba stöhnte innerlich – große Menschenmengen machten ihr zu schaffen. Dennoch interessierte es sie, was dieses außergewöhnliche Getümmel ausgelöst hatte. Sie ließ ihre Träger Richtung Hafenkai gehen, und trotz des Tumults kamen sie ohne Zwischenfall voran. Die Menschenmasse teilte sich vor ihnen, als sei sie eine Königin, deren Geburtsrecht es war, immer und überall vorgelassen zu werden. Amba hörte das Getuschel, und sie sah die brennende Neugier in den Augen der Leute. Doch je weiter ihre Sänfte sich dem Anleger näherte, desto weniger Aufmerksamkeit schenkte man ihr. Es war eine neue, riesige Galeone aus Portugal eingetroffen, und diese war es, auf die aller Augen gebannt gerichtet waren.
    Amba hieß ihre Träger anhalten. Von ihrer luftigen Höhe hatte sie einen guten Ausblick. Es stand eine Kommission aus Priestern am Pier, und wie es schien, war sogar der Gouverneur gekommen, um einen der Ankömmlinge zu begrüßen. Wer das wohl sein mochte? Das war der Nachteil daran, dass sie so abgeschieden lebte und den Kontakt zur Außenwelt so radikal beschnitten hatte. Von allen Personen, die in ihrem Haushalt lebten, war einzig der junge Makarand abenteuerlustig und mutig genug, gelegentlich in die Stadt zu gehen. Aber Makarand hatte aufgrund seiner Jugend noch nicht das richtige Gespür für politische Intrigen, die sich anbahnten, oder für Tragödien, die das gesellschaftliche Gefüge durcheinanderbringen konnten. Was er zum Besten gab, wenn er heimkehrte, war meist harmloses Geschwätz, das er aufgeschnappt hatte.
    Die Menge hielt den Atem an, als ein hochgewachsener Mann in schwarzer Kutte vom Schiff stieg und der Gouverneur samt einem hohen kirchlichen Würdenträger ihm entgegenschritt. Ein Mönch? Um ihn machten die Leute so ein Aufhebens? Verstehe einer diese

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