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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Portugiesen!
     
    Frei Martinho begrüßte die Delegation, die am Kai stand, mit vorbildlicher Haltung, obwohl ihm die Beine wegzusacken drohten. Er zwang sich zu einem selbstbewussten Gang und einer Miene, die Strenge und Gerechtigkeit ausdrücken sollte. Dabei wollte er nichts weiter, als ein Bad nehmen und sich dann von der strapaziösen Überfahrt erholen. Aber der erste Eindruck war, wie er aus seiner beruflichen Erfahrung wusste, oft der entscheidende. Wenn er die sittliche Verwahrlosung der Kolonie in den Griff bekommen wollte, musste er stark auftreten, vor allem jetzt. Die Inquisition hatte ihn schließlich hierhergeschickt, weil die bisherigen Ergebnisse ihres Wirkens von nicht allzu großem Erfolg gekrönt waren. Er, Frei Martinho Marques, würde dies ändern.
    Er brachte die Begrüßungszeremonie mit verkniffenem Mund hinter sich, dann ließ er sich zu einer Sänfte führen. Zwar nahm der Gouverneur gemeinsam mit ihm darin Platz, doch das hinderte Frei Martinho nicht daran, seinen Blick aus dem Fenster schweifen zu lassen. Das Bild, das sich ihm bot, hätte verwerflicher kaum sein können. Er sah Frauen, die sich Tuchbahnen um den Leib gewickelt hatten, dabei aber ihren Bauch frei ließen; er sah junge Seemänner, die in aller Öffentlichkeit – und das trotz des Anlasses! – urinierten; und er sah zwei Hunde, die sich paarten, ohne dass irgendjemand diesem schändlichen Treiben Einhalt geboten hätte. Jesus Christus! Alle Gerüchte, die über das Lotterleben in Goa kursierten, schienen sich bereits am ersten Tag zu bewahrheiten. Er würde viel zu tun haben.
    Was das Empfangskomitee ihm an Respekt entgegenbrachte, machte den Mangel an Ehrerbietung seitens des Volks nicht wett. Es scherte sich kaum jemand darum, dass die vizekönigliche Sänfte durch die Stadt getragen wurde. Kaum jemand bejubelte sie oder winkte fröhlich. Stattdessen glotzten, rempelten, johlten und drängelten die Leute, als handele es sich um eine Darbietung von Schmierenkomödianten. Die Soldaten, die die Sänfte eskortierten, hatten alle Hände voll zu tun, den Mob zu teilen und den Weg zur Kathedrale frei zu machen.
    Als Frei Martinhos Sänfte an einer anderen – aufwendiger beschnitzten – vorbeizog, versuchte er, einen Blick auf die Person zu erhaschen, die sich hinter den Vorhängen verbarg. Doch durch den kleinen Schlitz sah er nichts weiter als einen verschleierten Kopf. Das war doch wohl die Höhe! Waren nicht die heidnischen Gesetze, die Moslems und Hindus in früheren Jahrhunderten in Goa eingeführt hatten, abgeschafft worden? Wie konnte es diese Person wagen, sich verschleiert in der Hauptstadt herumtragen zu lassen, noch dazu am Tag seiner Ankunft? Er würde herausfinden, wer diese Person war. Und dann würde er mit aller Härte die Gesetze der heiligen Mutter Kirche in diesem Sündenpfuhl durchsetzen.

[home]
10
    A uch Miguel war der Auflauf nicht entgangen, der sich anlässlich der Ankunft eines hohen geistlichen Würdenträgers gebildet hatte, dessen Namen man sich auf den Straßen – teils schaudernd, teils belustigt – zuraunte. Doch Miguel hatte einen Bogen darum gemacht und war direkt zum Kontorhaus geritten. Senhor Furtado würde ihm besser als jeder andere sagen können, was es mit diesem Frei Martinho auf sich hatte. Der Prokurist der indischen Niederlassung von Ribeiro Cruz war außerordentlich gut über die Geschehnisse in der Hauptstadt informiert.
    Furtado wusste in der Tat allerhand zu berichten. Frei Martinho sei die rechte Hand des Generalinquisitors in Portugal, und die allzu lasche Durchsetzung der Gesetze gegen Ketzer habe nun wohl ein Ende. Furtado verzog keine Miene, während er sein Wissen mit Miguel teilte, doch Miguel meinte einen Hauch von Bitterkeit in der Stimme des Inders zu vernehmen. Dabei drohte Furtado doch gewiss keine Gefahr? Miguel hatte ihn als einen gläubigen Katholiken kennengelernt. Vor den Mahlzeiten wurden Tischgebete gesprochen, ein Kruzifix prangte in fast allen Räumen, und die Senhora Furtado plazierte sogar täglich Blumen vor einem kleinen Marienaltar in einer Ecke des Salons. Auch mit den Kirchgängen hielten es die Furtados wie alle guten katholischen Familien. Soweit Miguel wusste, engagierten sie sich sehr in ihrer Gemeinde, und sie sammelten emsig Geld für einen marmornen Katafalk, damit ihre Kirche, die Basílica do Bom Jesus, künftig den Leichnam des heiligen Franz Xaver angemessen präsentieren konnte.
    Miguel hatte den unausgesprochenen Verdacht, den

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