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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wurde. Er sah nicht schlecht aus, wenn er seine etwas zu großen weißen Zähne entblößte und sich Grübchen in den Wangen zeigten. Seine Haut war sehr dunkel, wie es typisch für die Inder aus dem Süden war, wenn sie sich nicht mit Europäern vermischt hatten. Er wirkte schlank und von normalem Wuchs, wobei Miguel erst jetzt auffiel, dass er den Jungen noch nie in einer anderen als der sitzenden Position gesehen hatte, in der er seine stupide Arbeit verrichtete.
    »Ich bin außerdem«, fuhr Crisóstomo fort, »gar nicht so dumm, obwohl ich nie eine Schule besucht habe. Ich habe, hier im Haus wie auch bei meinem vorigen Arbeitgeber, vielen Leuten aufmerksam zugehört, für die ich wie Luft war. Es ist nicht so, als würde ich den ganzen Tag nur herumsitzen und mit den Zehen wackeln. Ich beschäftige meinen Geist. Ich löse mathematische Rätsel, oder ich denke mir Geschichten aus …«
    »… wie die von deiner Unsichtbarkeit?«
    »Habt Ihr mich etwa neulich bemerkt, als ich an der Schänke vorbeiging, aus der Euch Euer Freund am Ärmel herauszerrte?«
    »Du warst da?«
    »Ja, und ich war unsichtbar.«
    »Du hast das von irgendwem gehört, gib’s zu. Vielleicht arbeitet ein Verwandter von dir in diesem Lokal. Oder ein Gast des Etablissements war später hier im Haus zu Gast und hat, während du ihm Luft zugefächelt hast, etwas erzählt.«
    »Ihr trugt einen dunkelroten Umhang. Euer Freund hatte sich einen ähnlichen umgelegt, in Grün, der mich aber nicht davon ablenken konnte, was er für schlecht geputzte Stiefel trug.«
    »Schon gut, schon gut. Und inwiefern qualifiziert dich das für eine andere Arbeit? Willst du andeuten, du könntest für mich spionieren?«
    Crisóstomo rollte vielsagend mit dem Kopf. Aha, dachte Miguel, er hatte mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen. Und wäre es nicht eigentlich ganz hilfreich, einen Spitzel zu haben? Jemanden, der sich unauffällig in Vierteln bewegen konnte, in denen er selbst auffiel wie ein bunter Hund? Jemanden, der der lokalen Sprache mächtig war und vor dem die Einheimischen kein Blatt vor den Mund nahmen? Aber stimmte es auch, was der Bursche behauptete? Nun, das ließe sich schnell herausfinden. Viel problematischer war, dass er nicht einfach Senhor Furtado seinen Diener abspenstig machen konnte. Andererseits: Was sollte der wohl dagegen haben, wenn der unscheinbarste seiner Dienstboten durch einen anderen ersetzt wurde? Er würde ihn freundlich darum bitten, ihm diesen Crisóstomo zu überlassen, und als Angestellter des Hauses Ribeiro Cruz würde ihm kaum eine andere Wahl bleiben, als Miguels Wunsch zu entsprechen.
    »Ich werde darüber nachdenken«, sagte Miguel, bevor ihm die Augen zufielen und er in einen tiefen, traumlosen Schlaf sank.

[home]
11
    A uf der viertägigen, äußerst beschwerlichen Rückreise nach Goa war Amba der Karawane eines Gewürzhändlers begegnet und hatte sich dieser angeschlossen. Dieser Händler führte auch ein paar Sack Chai mit sich, eine Pflanze, so erklärte er, die im Norden Indiens sowie in China angebaut wurde und deren Blätter, getrocknet und mit heißem Wasser übergossen, ein stärkendes Tonikum ergaben. Die Europäer, insbesondere die Briten mit ihrer Niederlassung in Surat, seien ganz versessen auf dieses neuartige Aufgussgetränk. Sie nannten es Tee.
    Amba war skeptisch. In Goa gab es ebenfalls ein neues Aufgussgetränk, das aus gemahlenen Bohnen der sogenannten Kaffeepflanze zubereitet wurde. Die Portugiesen zahlten sehr viel Geld für die importierten Bohnen, doch sie hatte nie verstanden, wieso. Das Gebräu schmeckte bitter, selbst nach Zugabe von Zuckermelasse oder Honig. Allerdings hatte sie es im Hause des Juweliers Rujul gekostet, der ihr damit imponieren wollte, wie weltgewandt er war. Wahrscheinlich hatte er es einfach falsch zubereitet.
    Umso gespannter war sie nun, wie dieser Chai wohl mundete. Der Gewürzhändler würde ja wohl wissen, wie mit den Blättern zu verfahren war. Hinter ihrem Schleier beobachtete sie jeden seiner Handgriffe, denn ihr zuliebe ließ er es sich nicht nehmen, den Aufguss selber zuzubereiten. Die Blätter, zusammengerollt, zerbröselt und dunkel, sahen nach einem nichtssagenden Kraut aus. Ihr Duft – der Händler hatte sie natürlich zuvor schnuppern lassen – war schwer zu beschreiben, weder abstoßend noch besonders appetitlich.
    Der Händler, ein wohlhabender Mann aus Golkonda, der Amba nicht schlecht gefiel, gab einige Kardamom-Kapseln, ein paar Pfefferkörner und

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