Der indigoblaue Schleier
Dorfpfarrer katholischen Gehorsam zu heucheln. Sie musste bis morgen fertig werden mit dem Verpacken der kleinen Geschenke, die sie von unterwegs für ihre Dienstboten mitgebracht hatte. Nicht einmal Nayana hatte etwas davon mitbekommen. Amba hatte jede Abwesenheit der alten
ayah
genutzt, um eine Kleinigkeit für ihre Leute zu besorgen, denen sie ja schlecht die Süßigkeiten schenken konnte, die jene selbst gebacken oder gekocht hatten. Also hatte sie eingekauft. Für Nayana hatte sie einen fein bestickten Geldbeutel aus Hirschleder gefunden, den sie mit einigen Silbermünzen füllen würde. Für Shalini, die Näherin, gab es einen Fingerhut aus Porzellan und für ihren kleinen Sohn Vikram einen winzigen hölzernen Elefanten samt
houdah
und
mahout,
wobei sowohl die Rückensänfte als auch der Elefantenführer außergewöhnlich realitätsnah gearbeitet waren. Für den Heranwachsenden Makarand hatte sie ein Rasiermesser mit Elfenbeingriff erstanden. Die Köchin Chitrani würde einen goldenen Zehenring, die beiden Dienstmädchen Anuprabha und Jyoti jeweils einen silbernen Zehenring erhalten. Dem
mali
Dakshesh, dem fast blinden Gärtner, wollte Amba eine lange Bahn feinsten Tuchs schenken, die er zum Schutz vor der Sonne um seinen fast kahlen Schädel wickeln konnte. Sein alter Turban war schon arg zerschlissen.
Es waren kostbare Geschenke, doch Amba wollte sich nicht ausgerechnet an Diwali geizig zeigen. Es war ein Festtag, der für sie wie auch für ihre Diener einer der wichtigsten im Hindu-Kalender war. Schließlich hatten sie alle herbe Verluste ertragen müssen und waren froh, wenn sie das Wohlwollen der Geister der Toten verdienten. Amba dachte an all die
pitris,
die am morgigen Abend bei ihr einkehrten: an ihre verstorbenen Eltern etwa oder an Amal. Auch gedachte sie all der anderen, die nicht mit ihr verwandt waren und mit dem Leben dafür hatten bezahlen müssen, dass sie, Amba, so sehr an dem ihren hing.
Ein lautes Geraschel in einer der Kokospalmen, die auf ihrem Grundstück standen, ließ Amba aufblicken. Der Himmel war schon beinahe ganz dunkel, nur eine zarte Andeutung von Tageslicht erhellte ihn noch. Gegen den violett-schwarzen Hintergrund zeichnete sich schwach die Gestalt des
naik bhandari
ab, des Kokospalmen-Anzapfers. Er kletterte behende die steilen Stämme hoch, flink wie ein Affe, um oben seine gusseisernen Kannen aufzuhängen und den kostbaren Palmsaft zu ernten. Dies hatte ausschließlich in der Dämmerung zu geschehen, so dass man am frühen Abend wie am frühen Morgen zuweilen einen Schrecken bekam, wenn man plötzlich die Gestalt des
bhandari
in den hohen Baumwipfeln wahrnahm. Weil es eine Arbeit war, die viel Geschick und Erfahrung verlangte, konnte niemand von Ambas Dienern mit der Aufgabe betraut werden. Sie waren auf einen Fremden angewiesen. Allerdings arbeitete der Mann schon lange für sie und hatte sich nie anders als tüchtig und ehrerbietig gezeigt. Er sprach mit kaum jemandem, erledigte schweigsam seine Arbeit und behelligte niemanden mit lästigem Geschwätz.
Dennoch war er Amba ein Dorn im Auge. Wenn er, wie heute Abend, urplötzlich wie aus dem Nichts auftauchte und im Dunkeln auf den Palmen herumkletterte, beschlich sie jedes Mal das ungute Gefühl, der Mann würde sie beobachten, obwohl er dazu wahrscheinlich gar keine Zeit hatte. Vielleicht sollte sie ihn von Makarand begleiten lassen, der am Fuße der Palme darauf achten konnte, dass der
bhandari
auch wirklich nur dort herumkletterte, wo er es sollte. Die Gelegenheiten, sich unbeobachtet auf dem Grundstück herumzutreiben, waren zahlreich, und sie konnten keinerlei Risiko eingehen. Morgen musste sie unbedingt daran denken, dem Mann einen Teller mit Süßigkeiten mitzugeben.
Amba beschloss, ins Haus zu gehen. Es war ohnehin bald Zeit fürs Essen, und die Düfte der Köstlichkeiten, die Chitrani im Küchentrakt zubereitete, ließen ihr bereits das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Makarand schüttelte ärgerlich den Kopf. Er hatte Ambadevis skeptischen Blick in Richtung Kokospalmen richtig gedeutet. Der
bhandari
hatte die Herrin mit seinem angeberischen Geraschel fortgejagt. Vermutlich hatte er nur deshalb so geräuschvoll auf sich aufmerksam gemacht, um zum morgigen Diwali-Fest einen Haufen Süßigkeiten für sich und seine zwölfköpfige Familie einzuheimsen.
Von seinem Standort aus im Cajú-Baum hatte Makarand nun keine Chance mehr, einen Blick auf Anuprabha zu werfen. Oft kam sie nämlich an Abenden wie diesem nach
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