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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Miguel erstaunt ausgerufen, und der Mann hatte genauso erstaunt bejaht, als sei es das Normalste der Welt.
    Miguel hatte spaßeshalber eine Probe abgeliefert, mit dem Ergebnis, dass der Bader ihm eine exzellente Gesundheit bescheinigte. »Ihr solltet allerdings weniger Ausgebackenes essen – schon gar nicht von Straßenständen. Auch Gegartes ist, sobald diese Leute es berührt haben, Eurer Gesundheit nicht zuträglich. Außerdem solltet Ihr einen Astrologen aufsuchen. Es sind schließlich nicht die Körpersäfte allein, die über unser Befinden entscheiden. Ich empfehle Euch den alten Senhor Amal, Ihr findet ihn in der Rua dos Milagres, gleich neben einem Schneider, der sich auf Brautmoden spezialisiert hat. Die Hochzeitskandidaten«, fügte er augenzwinkernd hinzu, »sind nämlich seine Hauptkundschaft.«
    Also war Miguel zu dem Astrologen gegangen, der nicht einfach zu finden war. Der alte Mann weigerte sich zunächst auch zuzugeben, dass er die Sterne über das Schicksal der Menschen befragte – wahrscheinlich traute er Miguel nicht. Die Kirche hatte derartige Umtriebe verdammt. Doch Miguel gelang es, den Astrologen von seinen lauteren Absichten zu überzeugen, wobei ihm ein Silbertaler sehr zu Hilfe kam. Er musste dem Mann die genauen Daten seiner Geburt nennen, Ort, Datum und Uhrzeit, und zum ersten Mal in seinem Leben war er froh, um Punkt Mitternacht geboren worden zu sein und dem Astrologen diese exakte Auskunft geben zu können. Früher hatte der Zeitpunkt seiner Geburt nämlich nur zu Verwirrung geführt, so dass er als Kind manchmal am 5 ., manchmal am 6 . August seinen Geburtstag gefeiert hatte.
    Der Astrologe, ein sehr dunkelhäutiges, weißhaariges Männlein mit tiefliegenden Schildkrötenaugen, hatte ihn nachdenklich angesehen und ihn gefragt, in welcher Angelegenheit er denn seiner Hilfe bedürfe. Ginge es um eine Hochzeitskandidatin? In diesem Fall brauchte er auch deren genaue Daten. Oder um den günstigsten Tag für einen Vertragsabschluss? Miguel hatte kurz überlegt und dann geantwortet, er wolle sich selbständig machen. Der Astrologe hatte ihn gebeten, am nächsten Tag wiederzukommen, so lange brauchte er für seine Berechnungen. Leicht unbefriedigt hatte Miguel das stickige Hinterzimmer des Mannes verlassen. Zwar glaubte er nicht an diesen Hokuspokus, aber neugierig war er trotzdem.
    Im Laufe des Nachmittags hatte er dann weitere Geschäfte aufgesucht, die kostbare Handwerkskunst anboten: hauchzarte Schals aus den Bergen im Norden Indiens, edelsteinbesetzte Sättel aus dem Osten, filigran geknüpfte Teppiche aus Afghanistan, Elfenbeinschnitzereien aus der Rajput-Region, fein gewebte Seide aus Bengalen, kunstvolle Goldschmiedearbeiten aus Bombay. Er hatte ein paar Kleinigkeiten gekauft, um damit den Familiensitz zu verzieren, vor allem jedoch, um die Händler davon abzulenken, dass er die Preise von so zahlreichen Gegenständen erfragt hatte.
    Denn immer mehr faszinierte ihn der Gedanke, den er bei dem Astrologen ausgesprochen hatte: Er wollte selbst im Orienthandel aktiv werden. Vielleicht waren die Gewinnspannen bei vor Ort gefertigten Waren nicht so hoch wie bei den Rohstoffen, und vielleicht war die Nachfrage nach Kunsthandwerk aus Asien in Europa nicht so hoch wie die nach Gewürzen oder Baumwolle; dennoch glaubte Miguel, dass es für diese Dinge einen Markt geben müsse – und dass dieser sehr lukrativ sein dürfte.
    Er würde demnächst eine Reise machen, nahm er sich vor. Er würde selber die Hersteller aufsuchen und ihnen ihre Produkte zu einem Bruchteil des Preises abkaufen, der in Goa dafür verlangt wurde. Er wollte Teppichknüpfer und Elfenbeinschnitzer, Weber und Schmiede, Edelsteinschleifer und Mosaikleger besuchen – und dabei das geheimnisvolle, riesenhafte indische Mogulreich kennenlernen. Das wahre Indien.
     
    Am Abend traf er erschöpft und verschmutzt bei den Furtados ein. Die Senhora verzog keine Miene angesichts seiner verstaubten Schuhe und seiner durchgeschwitzten Kleidung, sondern schickte ihm gleich, als habe sie mit gar nichts anderem gerechnet, den Barbier, den Masseur und all die anderen dienstbaren Geister, die Miguel schon bei seinem letzten Aufenthalt hier im Haus verwöhnt hatten, aufs Zimmer. Im Anschluss an die Reinigungsprozedur erwartete Miguel ein reichhaltiges Mahl in Gesellschaft Senhor Furtados. Diesmal erschien Miguel die Vielzahl der aufgetragenen Speisen nicht so übertrieben wie beim ersten Mal, was jedoch daran liegen mochte, dass er

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